Peter Wolter, ehemaliger HVA-Spion, schreibt in der Jungen Welt am 15.12.2009:

[siehe Anmerkung unten]

War Havemann ein Schieber?
Ein »Dissident« aus der CSSR berichtet über Schmuggel von Kunstwerken in den Westen. Möglicherweise gab es Erlöse in Millionenhöhe

Der 1982 gestorbende DDR-Dissident Robert Havemann war in den Jahren vor seinem Tod womöglich in Schiebereien verwickelt, die nach DDR-Recht kriminell waren. Mit Havemanns Hilfe seien Kunstwerke aus der damaligen CSSR über Berlin in den Westen geschmuggelt worden, hat die Historikerin Nicole Glocke herausgefunden. Als Zeugen führt sie in ihrem Buch »In den Fängen von StB, MfS und CIA« den tschechoslowakischen Dissidenten Eugen Mühlfeit an.

Mühlfeit, so heißt es, habe Ende der 70er Jahre in Prag einen Westberliner Professor kennengelernt, der leidenschaftlicher Kunstsammler gewesen sei. In Absprache mit ihm habe er Werke international bekannter CSSR-Künstler konspirativ nach Berlin geschafft und bei Havemann abgeliefert. Dabei habe es sich um Arbeiten »sehr bekannter Maler, Bildhauer und Graphiker« wie Libor Fára, Olbram Zoubek, Marycka Klomovicova, Otakar Vrba und Jirí Kolár gehandelt.

»Havemann und sein Freundeskreis entschieden, die Bilder über Diplomaten in den Westen bringen zu lassen«, zitiert die Autorin Mühlfeit. »Sie wollten Günter Gaus (damals Ständiger Vertreter der BRD in Ostberlin, d. Red.) kontaktieren und um Unterstützung bitten. Gaus versprach, einen seiner Mitarbeiter zu fragen, ob er sich an diesen Aktionen beteiligen will. ... Klar ist, daß die westlichen Diplomaten und ihre Helfershelfer die Werke irgendwie über die Grenze gebracht haben.«

Das Geld für die verkauften Bilder habe Mühlfeit direkt von Havemann erhalten, schreibt Glocke weiter. Sie zitiert den CSSR-Dissidenten mit den Worten: »In der Regel gab er mir im Haus das Geld in einem Briefumschlag oder in einem Paket. Manchmal kam es auch vor, daß er es mir unauffällig bei einem Spaziergang überreichte. Einmal fuhr plötzlich ein Trabi an uns heran, dessen Fahrer Havemann das Geld in die Hand drückte.« Mühlfeit schätze, daß er Gelder in Millionenhöhe nach Prag gebracht habe, womit Künstler in der CSSR sowie in Polen unterstützt worden seien. »Die tschechoslowakische Staatssicherheit ging sogar von einem Betrag von 50 Millionen DM aus.« Möglicherweise - so Glocke - haben sich die westlichen Kontaktleute bei diesen Deals erhebliche Summen unter den Nagel gerissen.

Glockes Recherchen werden von Katja Havemann, der Witwe des Dissidenten, energisch zurückgewiesen. Sie wird in dem Buch mit den Worten zitiert: »Da muß ein Irrtum vorliegen. Das hätte Robert niemals getan.« Sie könne sich außerdem nicht daran erinnern, Mühlfeit jemals kennengelernt zu haben.

Dem Lukas-Verlag, in dem der Band erschienen ist, liegt nach eigenen Angaben die Kopie einer Mail vor, in der Frau Havemann ihre Gegendarstellung autorisiert hat und dem Buch viel Erfolg wünscht. Dennoch bemüht sie jetzt die Justiz - verbunden mit einer Schmerzensgeldforderung über 50000 Euro. Zu ihrer Unterstützung hat Frau Havemann die wissenschaftlichen Kapazitäten der Birthler-Behörde eingeschaltet - mit deren Leiterin, Marianne Birthler, sie offenbar persönlich bekannt ist.

 

Anmerkung:

Auch Peter Wolters Lebensgeschichte als West-Spion der HVA des Ministeriums für Staatssicherheit hat Nicole Glocke 2010 in ihren neuen Buch zum Gegenstand einer Veröffentlichung gemacht.

Titel: "Im Auftrag von US-Militäraufklärung und DDR-Geheimdienst, Die Lebensgeschichten zweier gegnerischer Agenten im Kalten Krieg", m. Audio-CD.

Der Österreicher Hannes Sieberer verpflichtet sich für den militärischen Geheimdienst der USA (MIS) und wirbt in der DDR einen Agenten an. Peter Wolter trägt der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR unter der Führung des legendären Markus Wolf brisante Informationen aus dem westdeutschen Verfassungsschutz zu. Beide werden schließlich enttarnt, verurteilt und stehen zunächst vor den Scherben ihrer Existenz.
Nicole Glocke hat lange und intensive Gespräche mit Hannes Sieberer und Peter Wolter geführt. Sie beschreibt nicht nur die ungewöhnliche Lebensgeschichte zweier Akteure des Kalten Krieges, sondern entwirft ein sensibles Psychogramm der beiden Überzeugungstäter. Ein authentisch und nachdenklich stimmender Bericht über Motivation, Methodik und Konsequenz geheimdienstlicher Verstrickung.
Peter Jochen Winters, von 1977 bis 1990 als ständiger Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in der DDR akkreditiert, bringt seinen eigenen Erfahrungsschatz dieser Zeit in ein ausführliches Interview mit beiden ein. Mit analytischer Distanz hakt er immer wieder nach, deckt Widersprüche, aber auch neue Details auf. Der Originalton des Gesprächs ist ein spannendes und authentisches Zeitzeugnis.

Quelle: www.weltbild.de/