aDer oppositionelle Schriftsteller Lutz Rathenow bekam im Mai 1989 eine Ausnahmegenehmigung für eine Reise zu einer Preisverleihung nach Wien. Dort erhielt er den Jörg-Mauthe-Preis für Auszüge aus seinem Ostberlin-Buch. Seine Reise beginnt und endet am Westberliner Flughafen Tegel, das erbaten auf Wunsch Rathenows die Wiener Veranstalter von der DDR - obwohl es teurer war als Schönefeld (Ostberlin) als Abflugs- und Ankunftsort. Rathenow nutzt die Gelegenheit und besucht die Westberliner Ost-Oppositionsszene.
Für die Oppositionsgruppen in der DDR waren die Verbindungen in die Bundesrepublik Deutschland und besonders West-Berlin von enormer Bedeutung. Ein Netzwerk von alten Freunden, übergesiedelten und ausgewiesenen Bürgerrechtlern sowie in der DDR akkreditierte Korrespondenten westdeutscher Medien verhalfen den Gruppen zu einer Öffentlichkeit im Westen und informierten die DDR-Bevölkerung durch Rundfunk und Fernsehen über die Missstände in Ost-Deutschland. Einige dieser Freunde, wie den Schriftsteller Jürgen Fuchs und die Journalisten Roland Jahn und Rüdiger Rosenthal besuchte Lutz Rathenow im Mai 1989 vor und nach seinem Aufenthalt in Wien.
Nach Wien zur Preisverleihung durfte der Schriftsteller auf Grund einer Vier-Tages-Reisegenehmigung vom 8. bis 11. Mai 1989, die er allerdings um einen Tag überzog und erst am 12. Mai 1989 wieder nach Ost-Berlin zurückkehrte. Die Parteioberen räumten ihm offenbar aus Rücksicht auf das Verhältnis zu den österreichischen Nachbarn eine erstmalige West-Reisegenehmigung ein, ließen es sich aber nicht nehmen, Rathenow nach der Rückkehr, auf Grund einer im Westberliner Rundfunk gelesen Passage aus dem in Wien prämierten Ostberlin-Buch, wieder ein Reiseverbot zu verkünden. Immerhin bei einem extra Termin im Ministerium für Kultur.
In West-Berlin gab es für Rathenow neben einem Wiedersehen mit den alten Freunden das volle touristische Programm, inklusive Fotosession vor dem Schalter der amerikanischen Flug Linie Pan Am und einem Besuch bei der Redaktion der Westberliner Zeitung TAZ. Besonders die Bilder auf der Westseite des Brandenburger Tors zeugen vom Genuss des kurzzeitigen Triumphs über das kommunistische System. Es sollte noch einige Monate dauern, bis allen DDR-Bürgern dieses Gefühl vergönnt sein sollte.