"Denk bitte nach! Bitte, schweig nicht!"

Bernd Eisenfeld und sein Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings

Bernd Eisenfeld vor seiner Inhaftierung 1968. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/RHG_Fo_HAB_17249

Das Archiv der DDR-Opposition, getragen von der Robert-Havemann-Gesellschaft, ist das größte nicht staatliche Spezialarchiv zu Opposition und Widerstand gegen die SED-Diktatur. Die Dokumente zeugen vom Mut der Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen gegen den SED-Staat auflehnten und dafür politisch verfolgt wurden.

Einer von ihnen ist Bernd Eisenfeld, der 1968 gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Paktes öffentlich protestierte.

Dieses Jahr gedenken wir des Prager Frühlings vor 50 Jahren. Im Januar 1968 wird Alexander Dubcek zum ersten Sekretär der kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei gewählt. Die Zensur wird abgeschafft, es entstehen politisch unabhängige Gruppen, das Land öffnet sich dem Westen. Dubceks Politik lässt viele Tschechen und Slowaken auf ein besseres Leben hoffen. „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ lautet die Losung.

Mit Aufmerksamkeit und voller Hoffnung verfolgt Bernd Eisenfeld den Prager Frühling. Endlich beschritt ein Ostblockland den Weg, für den sich Eisenfeld auch bisher so vehement eingesetzt hatte: die Verbindung von Demokratie und Sozialismus. Er fährt mit seinen Brüdern Peter und Ulrich nach Prag, um sich vor Ort ein Bild von den gesellschaftlichen Veränderungen zu machen – und „Prag war eine Offenbarung“. Die Möglichkeit der Ausübung grundlegender Bürgerrechte, die Mitsprache der Bevölkerung an politischen Entscheidung setzte ein ungeahntes Potential an Kreativität frei.

Bernd Eisenfelds Telegramm gegen den Einmarsch der Warschauer Pakt Staaten in die CSSR. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/RHG_BE 16

In einem Leserbrief an das deutschsprachige Programm von Radio Prag schreibt Eisenfeld: „Ich bin verliebt! Verzeihen Sie, dass ich Hals über Kopf all meine Sehnsucht, meine Hoffnungen und all meine Liebe heraussprudele, ohne dass Sie mich überhaupt kennen. [...] Ich beneide Sie so furchtbar ehrlich, dass ich am liebsten Berlin oder Leipzig in der Rolle des heutigen Prag sehen wollte. [...] Halten Sie ganz fest, was Sie sich jetzt erobert haben. Ich sehe Zukunft. Viele sehen Zukunft. [...] Können Sie sich vorstellen, wie es in Deutschland weitergeht, wenn in der DDR so empfunden werden darf wie heute bei Ihnen?“

Das Land befand sich im Aufbruch und für Bernd Eisenfeld war klar, dass dieses Experiment verteidigt werden muss, nicht zuletzt im Interesse einer Reformierung des DDR-Sozialismus.

Die Intervention der Truppen des Warschauer Paktes am 23. August war ein Schock. Untätig wollte er diese offene Aggression nicht hinnehmen. Spontan schickt er ein Telegramm an die tschechoslowakische Botschaft in Ost-Berlin: „Ich bange mit Ihnen und Ihren gut gesinnten Landsleuten. Halten Sie stand – Behalten Sie Hoffnung. Bernd Eisenfeld“ Aber diese persönliche Solidarisierung war ihm nicht ausreichend. Die Situation verlangte eine Entscheidung und Bernd Eisenfeld entschied sich öffentlich gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings zu protestieren.

Von Eisenfeld selbstgefertigtes Flugblatt gegen den Einmarsch der Armeen des Warschauer Paktes in die CSSR. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/RHG_BE 01

Die Flugblattaktion war gut überlegt. Auf seiner Schreibmaschine stellt er 180 Exemplare mit Lenins Definition von ‚Annexion einen Volkes‘ aus dem „Dekret über den Frieden“ her. Als Überschrift wählt er: „Denk bitte nach! Bitte, schweig nicht!“. Nur dieses Zitat eines Säulenheiligen der SED-Ideologie steht auf dem Flugblatt, kein Hinweis auf den Einmarsch in die Tschechoslowakei, keine Kommentierung des Textes. Das Risiko der Aktion scheint kalkulierbar, denn was kann ihm schon wegen der Verteilung eines Leninzitates vorgeworfen werden? Die meisten seiner Flugblätter verteilt er am Abend des 20. September 1968 in Halle und er sah, wie sich kleine Menschengruppen bilden und diskutieren. Am folgenden Abend will er den Rest verteilen aber Polizei und Staatssicherheit sind in Alarmbereitschaft und verhaften ihn. Bei der ersten polizeilichen Vernehmung hat er noch die Hoffnung, mit einem blauen Auge davonzukommen. Im Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit wurde ihm aber klar, dass sein Plan, durch den Inhalt der Flugblätter keinen strafrechtlichen Vorwand zu liefern, nicht aufgegangen war. Wegen staatsfeindlicher Hetze wird Bernd Eisenfeld vor dem Bezirksgericht Halle zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Die längste Zeit ist er in Bautzen I, einem Gefängnis, in dem hauptsächlich kriminelle einsitzen, inhaftiert. Alle Angebote auf Haftvergünstigungen bis hin zur Entlassung auf Bewährung weist er zurück, weil man im Gegenzug dafür verlangt, dass er seine politische Überzeugung aufgibt oder Mithäftlinge bespitzelt. Die Versuche seitens der Bundesregierung ihn freizukaufen scheitern, so dass er im März 1971 nach Verbüßung der gesamten Haftstrafe wieder in die DDR entlassen wird.

Weder die Haft noch die sich daran anschließenden Verfolgungsmaßnahmen durch die Staatssicherheit können Bernd Eisenfelds politischen Willen brechen. Er engagiert sich weiterhin unter dem Dach der Kirche in Halle im Friedenskreis, in der Bausoldatenbewegung und fordert vehement die Anerkennung seines Rechtes auf Ausreise. 1975 kann er mit seiner Familie die DDR verlassen. Später entnimmt er den Unterlagen der Staatssicherheit, dass er erneut wegen „staatsfeindlicher Hetze“ verfolgt wurde und eine erneute Inhaftierung bevorstand. Als Alternative ist die Abschiebung in den Westen vorgesehen – die Stasi entscheidet sich für letzteres.

Bernd Eisenfeld (Hintergrund) im Sommer 1966 zusammen mit anderen Bausoldaten während ihrer Freizeit in der Nähe von Luckau. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/RHG_Fo_HAB_13855

Bernd Eisenfeld, geboren 1941 in Falkenstein, einem kleinen Ort im sächsischen Vogtland, starb unerwartet am 12. Juni 2010. Sein Nachlass befindet sich im Archiv der DDR-Opposition. Das archivierte Schriftgut umfasst 139 Bände, stammt aus dem Zeitraum von 1955 bis 2010 und hat einen Umfang von 4,3 laufenden Metern.