Die Knast-Kisten. Ein „erstklassiger Service im Klassenkampf!“

Für das geplante Forum Opposition und Widerstand übergab Wolf Biermann der Robert-Havemann-Gesellschaft in der letzten Woche diese massive Holzkiste. Ähnlich wie Biermann machten viele Oppositionelle bei Ihrer Ausreise aus der DDR gezwungenermaßen gebrauch dieser „Auszugs-Kisten“. Biermanns Kiste sollte noch über 40 Jahre im Besitz des Liedermachers bleiben. Im Folgenden finden Sie die ganze Geschichte der Knast-Kiste.

Wolf Biermann schrieb die Geschichte der „Knast-Kisten“ für unsere Veröffentlichung „Gegenentwurf. Ausschnitte deutscher Demokratiegeschichte“ nieder. Weitere Informationen zur Publikation zu 30 Jahren Robert-Havemann-Gesellschaft finden Sie hier: Opens internal link in current windowOnline-Shop

Wolf Biermann bei der Übergabe seiner "Knast-Kiste" an das Archiv der DDR-Opposition der Robert-Havemann-Gesellschaft.

Die offiziöse ADN-Mitteilung über meine Ausbürgerung endet mit diesem harschen Kaderwelsch: „Biermann befindet sich gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland. Mit seinem feindseligen

Auftreten gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik hat er sich selbst den Boden für die weitere Gewährung der Staatsbürgerschaft der DDR entzogen. Sein persönliches Eigentum wird ihm — soweit es sich in der DDR befindet — zugestellt.“

Dieses Dekret war offenbar von der Parteiführung schon vor der Genehmigung meines Visums für eine 14-Tage-Tournee beschlossen worden: sechs große Konzerte im Westen. Am 16. November 1976, also drei Tage nach dem ersten Auftritt in der Sporthalle Köln, wurde meine Ausbürgerung verkündet und vom Staatsapparat zügig in die Tat umgesetzt.

Prompt wurden für den Abtransport meiner Habseligkeiten in meine Wohnung Chausseestraße 131 über 40 große massive Holz-Kisten geliefert, jede mit einem stabilen Deckel zum Zunageln.

Paar kräftige Freunde halfen Tine Biermann, Bylle Havemann, Eva-Maria Hagen und ihrer Tochter Nina, den Bücherberg, die Manuskripte, die Unmengen Tonbänder, die Mikrophone und Tongeräte zu verstauen. Allerhand staatsfeindlicher Schnickschnack und konterrevolutionärer Krimskrams.

Die Stasi-eigene Staats-Spedition VEB-DEUTRANS transportierte dann — eine Möbelwagenfuhre — die vollgepackten Kisten, dazu den alterskranken Bösendorfer Flügel, mein für profane Zwecke

mißbrauchtes Harmonium, meine Weißgerber-Gitarren, die zerschlissenen Ledersessel, einen antiken Bauernschrank, die Bücherregale, den schweren Billard-Tisch, das Lotterbett. Auf jedes Teil mußte ein Zettel geklebt werden mit der Anschrift meiner Mutter:

An Emma Biermann
Hamburg 50
Schlankreye 15

Und weil ich ja noch keine Wohnung hatte, wurde der kostbare Klumpatsch erstmal paar Monate in einem Kellerraum der Hamburger Musikhalle am Brahmsplatz zwischengelagert.

Ach, diese russischen Export-Kisten! Viel zu schade zum Wegwerfen, zum Zerhacken und Verbrennen! Vielleicht für Waffen oder Munition, für hochempfindliche Metallteile. Die starken Bretter sind stabil ineinander verzinkt mit einer haltbaren Schwalbenschwanz-Verbindung. Prima Tischlerarbeit! Aus sentimentalen Gründen behielten wir damals drei davon.

Und ich weiß, daß dann auch meine Eva-Maria wie auch Sarah Kirsch genau solche sehr östlichen Kisten geliefert kriegten für ihre Ausreise in die westliche Welt: Umzugskisten. Nein eigentlich Auszugs-Kisten, denn es war ja ein Auszug aus Ägypten. Der nun einsetzende Exodus der unruhigen freien Geister in den Westen erwies sich später als der Anfang vom Ende der DDR.

Diese Kisten waren ein erstklassiger Service im Klassenkampf! Auch der Dichter Günter Kunert mit seiner Bibliothek und mit einer exorbitanten Sammlung von altem Blechspielzeug. Dann auch Manfred Krug mit allen Edison-Phonographen, mit His-Masters-Voice-Schalltrichtern und exquisiten Antiquitäten. Auch der rebellische Poet Thomas Brasch kam in den Genuß dieser Dienstleistung der MfS-Spediteure.

Unter eine dieser tollen Kisten schraubte ich dann vier Lenk-Rollräder. Eine daumendicke Glasscheibe mit abgeschliffenen Kanten obendrauf — und fertig war unser nostalgisches Couch-Tischchen — zur Erinnerung an das Schicksals-Jahr meiner Austreibung 1976.

Ich habe einen alten Herzensbruder, den Kernphysiker Rolf Schälicke. Als Kind antifaschistischer Flüchtlinge aus Nazideutschland wuchs er auf wie ein echter Russe, im Moskauer Exil. Nur wenige Kommunisten der deutschen Nomenklatura überlebten Stalins Terror im Hotel Lux. Ein Kader-Bestiarium der KOMINTERN, mit den Genossen Ulbricht, Pieck und Herbert Wehner.

Ausgerechnet mein Rolf wurde später als Mann in Dresden ein besonders widerspenstiger Dissident. Und als der DDR-Menschengroßhändler Rechtsanwalt Vogel den politischen Häftling von der Holz-Pritsche in der Dresdner Stasi-U-Haftanstalt „Bautzner Straße“ in den Westen entsorgt hatte, fand dieser renitente Kerl bei uns in Altona ein Dach überm Kopf und endlich ein weiches Bett. Wir tauften damals unser schönes Haus: »Hamburger Herberge zur DDR-Heimat«!

Und bei dieser Gelegenheit entdeckte der hohlwangige Deutschrusse meine umfunktionierte sowjetische Kiste im Wohnzimmer. Ich fragte ihn: Was wurde da wohl aus der UdSSR exportiert in die DDR? Und er las die vertrauten kyrillischen Schablone-Buchstaben auf dem rohen Fichtenholz:

экспорт  •  ГДР  •  брутто  •  нетто

Ich zeigte ihm begeistert die gediegenen Schwalbenschwanz-Kanten meiner Kiste. Da nickte er und sagte:

ласточкин хвост!

Wortwörtlich wie auch im Deutschen: Schwalbe und Schwanz. Das ist die typische Häftlingsarbeit aus einer Tischlerei in der КАТАЛA‘ЖКА. In solchen robusten Kisten wurden besonders empfindliche Materialien für den Export transportiert. Hier kannst Du lesen:

Коллоксилин — Kollodiumwolle, das ist nitrierte Cellulose mit Salpeter und Schwefelsäure, brauchbar für Dynamitsprengstoffe.

Ich verstand nun besser: Im Sinne realsozialistischer Materialökonomie waren diese soliden Kisten zudem eine schon symbolhafte Zweit-Verwendung, bestens geeignet für den notwendigen Export all der ausgebürgerten Oppositionellen in den Westen nach meiner Ausbürgerung im traurigen November 1976.

Die Zweckentfremdung der 46 Kisten war also keine Vergeudung des Volkseigentums, sondern eine ideale Verpackung für all meine explosiven Bücher, für brisante Briefwechsel und zersetzende Tonbandaufnahmen, für verbotene Bilder, für die kleine Instrumentenbauer-Tischlerbank meines Freundes Max Hoyer in Markneukirchen, Holzsärge für zusammengereimte Träume. So blieb mir alles erhalten. Danke, Genossen! danke! danke!

Ich frotzelte: „Siehste, Schälike, an diese Holzkisten kannste ma wieder sehn: Et war ebn doch nich allet schläächt inner Dä-Dä-äR!!“ — so berlinerte ich in Altona.

Aber es gibt Witzchen, über die das alte Bolschewisten-Kind Rolf nicht lacht.

 

 

Diese und viele weitere Geschichten aus dem Archiv der DDR-Opposition finden Sie in unserer Publikation Opens internal link in current window„Gegenentwurf – Ausschnitte deutscher Demokratiegeschichte“ zum 30. Jubiläum der Robert-Havemann-Gesellschaft.