05.04.2018

Drei Fotografen, eine Geschichte - Wie eine ehemalige Gasanstalt in Prenzlauer Berg zum Prestigeobjekt der DDR-Stadtplaner wurde.

Unser Archiv der DDR-Opposition ist eine bunte Ansammlung an Erinnerungen, Dokumenten und Zeitzeugnissen. Die unter dem Dach der Robert-Havemann-Gesellschaft gesammelten Archivalien haben die unterschiedlichsten Provenienzen und erzählen alle ihre eigene Geschichte. Wie bei einem Puzzle setzt sich aus diesen Einzelgeschichten aber oft eine größere Erzählung zusammen. Bilderserien dreier Fotografen aus unserem Archiv erzählen die Geschichte eines Geländes, dass in der Berliner Geschichte schon oft für Diskussionsstoff sorgte und dessen Zukunft nach einiger Zeit der Ruhe nun wieder in der Presse diskutiert wird.

Zwischen Greifswalder Straße und Prenzlauer Allee befand sich im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg seit 1873 die IV. Städtische Gasanstalt, die den Berliner Osten mit Gas versorgte. Damals stand der Industriemoloch am Rand der wachsenden Millionenstadt, hundert Jahre später lag die Gasanstalt dann mitten im Ost-Berliner Szenebezirk. Niemand trauerte dem Gaswerk nach, als es 1981 stillgelegt wird. Nur die alten noch stehenden Gasometertürme waren längst zum Wahrzeichen des Bezirks geworden. Sie versprühten den Charme alter Industrieanlagen und waren mit ihren hochaufragenden Klinkerfassaden auch staatlich anerkannte Baudenkmale. Die Anwohner des Prenzlauer Bergs entwickelten schon Ideen für ihre Weiternutzung. Der Fotograf Volker Döring besuchte Anfang der 1980er Jahr mehrmals das Gelände und macht Bilder der Industrieanlagen.

Volker Döring gab 1984 seinen Lehrerberuf auf und widmete sich ausschließlich seiner großen Leidenschaft, der Fotografie. In den folgenden Jahren entstanden so beeindruckende Fotoserien über den DDR-Alltag in allen seinen Facetten. Zum Bestand

Das Gaswerk Anfang der 1980er Jahre. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Volker Döring/RHG_Fo_HAB_19623
Das Gaswerk Anfang der 1980er Jahre. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Volker Döring/RHG_Fo_RDA_00340
Das Gaswerk Anfang der 1980er Jahre. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Volker Döring/RHG_Fo_VDoe_192
Das Gaswerk Anfang der 1980er Jahre. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Volker Döring/RHG_Fo_HAB_23457
Das Gaswerk Anfang der 1980er Jahre. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Volker Döring/RHG_Fo_RDA_00337
Die noch im Bau befindliche Monumentalbüste von Ernst Thälmann. Im Hintergrund die Plattenbauten der Wohnsiedlung. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Volker Döring/RHG_Fo_HAB_23510

1982 rückten Bagger an und begannen mit dem Rückbau der Gasanstalt. 1984 kam dann die Gewissheit: auch die Gasometer sollten verschwinden und gesprengt werden. Der Protest in der Bevölkerung war trotz staatlicher Geheimhaltungs – und Desinformationspolitik groß und zog sich durch alle Schichten. Sogar eine Bürgerinitiative bildete sich, die mit unterschiedlichen Aktionen gegen den Abriss der Gasometer und die Neubebauung des Geländes protestierte. Die Bürgerproteste gegen diese Zerstörung historisch wertvoller Industriebauten blieben aber ohne Erfolg. Am 28. Juli 1984 wurden die Gasometer gesprengt. Nur eine Wand des Gasometers wehrt sich noch gegen ihren unausweichlichen Abriss. Wie zum Hohn steht auf diesem Mauerstück eine Buche, die die Sprengung unbeschadet überstanden hat. An diesem Tag, nicht weit entfernt von den beiden Gasometertürmen, stand Werner Fischer mit seiner Kamera und machte einzigartige Aufnahmen von der Sprengung der Türme.

Werner Fischer war spätestens seit Anfang der Achtziger Jahre aktives Mitglied der oppositionellen Szene in Berlin. Zu vielen Aktionen und Treffen nahm er seine Kamera mit und fotografierte die Arbeit der Bürgerrechtler. So dokumentierte er neben der Gasometersprengung beispielsweise auch die Friedenswerkstätten in der Ostberliner Erlöserkirche 1982 und 1983. Zum Bildbestand

Neben seinen Fotos befindet sich auch ein großer Teil der schriftlichen Dokumente zu Werner Fischers oppositionellem Wirken im Archiv der DDR-Opposition. Zum Schriftgutbestand 

Sprengung des Gasometers am 28. Juli 1984. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Werner Fischer/RHG_Fo_WF_216
Sprengung des Gasometers am 28. Juli 1984. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Werner Fischer/RHG_Fo_WF_220
Wegen der Proteste im Vorfeld ist auch die Volkspolizei bei der Sprengung dabei und überwacht die Schaulustigen. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Werner Fischer/RHG_Fo_WF_221
Sprengung des Gasometers am 28. Juli 1984. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Werner Fischer/RHG_Fo_WF_225
Sprengung des Gasometers am 28. Juli 1984. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Werner Fischer/RHG_Fo_WF_211
Sprengung des Gasometers am 28. Juli 1984. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Werner Fischer/RHG_Fo_WF_191
Letzte Reste des ehemaligen Gasometers nach der Sprengung. © Robert-Havemann-Gesellschaft/ Werner Fischer/ RHG_Fo_WF_201
Letzte Reste des ehemaligen Gasometers nach der Sprengung. © Robert-Havemann-Gesellschaft/ Werner Fischer/ RHG_Fo_WF_205

Rund um die alten Gasometer entstanden bereits seit 1983 Wohnanlagen im sozialistischen Stil. Der Industriekomplex wich modernen Plattenbauten. Die alten Drecksschleudern passten nicht in das fortschrittliche sozialistische Gesamtensemble, dass Danziger Ecke Prenzlauer Allee entstehen sollte. Spätestens zur 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin 1987 sollte das Wohnquartier „Ernst-Thälmann-Park“ fertig sein. 4.000 Bewohner sollten Platz finden im Prestigeobjekt des sozialistischen Städtebaus. Erstmals wurde der Neubau einer Wohnsiedlung nicht, wie zuvor in Marzahn oder Hohenschönhausen, an den Berliner Stadtrand verbannt, sondern Mitten in das Zentrum der Metropole geholt. Mit zahlreich erschienener Prominenz, Erich Honecker und Michail Gorbatschow gaben sich die Ehre, wurde die Siedlung und die namensgebende monumental Büste des Arbeiterführers Ernst-Thälmann am 16. April 1986, feierlich eröffnet. An diesem 100. Geburtstag Thälmanns war auch der Bildjournalist Gerhard Zwickert in der Wohnanlage und dokumentierte die Eröffnungsveranstaltung für die Zeitschrift Neue Berliner Illustrierte (NBI).

Gerhard Zwickert arbeitete als Bildjournalist bei der Neuen Berliner Illustrtierten (NBI). Seine Fotoreportagen liefern einen facettenreichen gesellschafts- und kulturpolitischen Einblick in die DDR. Zum Bestand

Hoher Besuch hat sich angekündigt: Zur feierlichen Eröffnung des Wohnpark und des Denkmals kommen Erich Honecker und Michail Gorbatschow. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Gerhard Zwickert/RHG_Fo_GeZwi_1918
Feierliche Eröffnung der Wohnanlage und Enthüllung des Denkmals zu Ehren Ernst Thälmanns. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Gerhard Zwickert/RHG_Fo_GeZwi_1914
Feierliche Eröffnung der Wohnanlage und Enthüllung des Denkmals zu Ehren Ernst Thälmanns. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Gerhard Zwickert/RHG_Fo_GeZwi_1915
Nach der Enthüllung des Monuments mischen sich Honecker und Gorbatschow unter das Volk und besichtigen die Wohnanlage im Thälmann-Park. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Gerhard Zwickert/RHG_Fo_GeZwi_1917

Die Bilder von Volker Döring, Werner Fischer und Gerhard Zwickert dokumentierten die Entwicklung des Geländes an der Greifswalder Straße vom historischen Gaswerk zur sozialistischen Vorzeigesiedlung. Das gesamte Ensemble des Thälmann-Parks steht mittlerweile selbst unter Denkmalschutz und ist Spekulationsobjekt von Investoren. 2014 gründete sich eine Bürgerinitiative zum Erhalt des Ensembles.