Sagt uns, was ihr macht, und wir sagen euch, was andere machen – Das Kontakttelefon in der Gethsemanekirche

Am 9. Oktober 1989 sitzt der junge Oppositionelle Till Böttcher am Kontakttelefon in der Berliner Gethsemanekirche und nimmt die neuesten Meldungen aus Leipzig entgegen. Die Oppositionellen sammeln am Kontakttelefon Informationen zu widerständigen Aktionen, zu Solidaritätsveranstaltungen oder Nachrichten zu staatlicher Gewalt und geben Auskunft über die Arbeit der oppositionellen Gruppen in der DDR. Am 9. Oktober 1989 läuft der Draht des Telefons heiß. Die letzten Tage waren turbulent und es trudeln immer neue Meldungen ein.

Till Böttcher wiederholt am 9. Oktober 1989 Wort für Wort, was ihm von seinen Leipziger Mitstreitern über das Telefon berichtet wird, damit sein Partner jedes Detail der Ereignisse der vergangenen beiden Tage notieren kann. In der gesamten DDR wurden am 7. und 8. Oktober 1989 friedliche Demonstrationen brutal niedergeschlagen. Es kam zu zahlreichen Zuführungen und Misshandlungen. Die Oppositionellen dokumentierten den staatlichen Gewaltausbruch. So nimmt Böttcher unter anderem die Nachricht auf, dass am Wochenende um den 7. Oktober 27 Lastkraftwagen, beladen mit Sicherheitskräften gesehen wurden, die eine Kaserne verließen und Richtung Leipziger Innenstadt fuhren.

Aufruf zur Besonnenheit. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/NFo/345

Die Gruppe um das Kontakttelefon notierte außerdem den Aufruf der sogenannten Sechs von Leipzig, den der Leipziger Gewandhauskapellmeister Kurt Masur zusammen mit dem Sekretär für Kultur der SED-BezirksleitungSekretär für Wissenschahft, Volksbildung und Kultur der SED-Bezirksleitung Kurt Meyer und anderen in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1989 verfasste und in den Leipziger Kirchen nach der Andacht verlesen ließen. Die Leipziger gaben den Text, der als Aufruf zur Besonnenheit bekannt werden sollte, über das Kontakttelefon an die Berliner Freunde weiter, die ihn abends bei der Andacht in der Gethsemanekirche ebenfalls verlasen. Mit dem Kontakttelefon und der gleichzeitig stattfindenden Mahnwache wird die Gethsemanekirche im Herbst 1989 zu einer Schaltzentrale der Friedlichen Revolution.

Die Aufnahme ist heute Teil der umfangreichen Audio-Sammlung des Archivs der DDR-Opposition.