Digitales Kondolenzbuch für Carlo Jordan

Nachrufe und Erinnerungen zum Gedenken an Carlo Jordan sammeln wir auf dieser digitalen Kondolenzseite. Ihre Beiträge senden Sie bitte an sz(at)havemann-gesellschaft.de.

Carlo Jordan wurde am Donnerstag, den 4. Januar 2024, auf dem Parkfriedhof Marzahn beigesetzt. Die Gedenkfeier fand am Freitag, den 12. Januar 2024, um 16 Uhr in der Zionskirche Berlin statt.

Impressionen sowie einen Mitschnitt der Trauerfeier finden Sie Opens internal link in current windowhier 

Carlo Jordan im November 1989 während einer Ausstellung von Igor Tatschke und der AG Mauerstein in der Galerie der Umwelt-Bibliothek. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Ann-Christine Jansson/RHG_Fo_ACJ_0068
Carlo Jordan (2. v. links) bei der Eröffnung der Ausstellung „Die andere Seite einer Stadt“ des Schriftstellers Lutz Rathenow (links) und des Fotografen Harald Hauswald in der Galerie der Umwelt-Bibliothek am 24. Mai 1987. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke/RHG_Fo_SiSch_01_014-12
Carlo Jordan im Gespräch mit DDR-Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern am 2. Oktober 1994 in den Räumen der ehem. Umwelt-Bibliothek im Gemeindehaus der Zionskirche. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Rolf Zöllner/RHG_Fo_HAB_14826
Carlo Jordan im Mai 1983 auf dem Fahrrad. Das Bild stammt aus einem Beobachtungsbericht der Staatssicherheit. Quelle: Stasi-Unterlagen-Archiv, AOP 17674/85, Bd. 2, S.113
Das MfS observiert mit versteckter Kamera Carlo Jordan - Objekt "Fluß" – bei der Fahrradtour „Herbstfahrt“ am Treffpunkt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Fehrbelliner Straße. Quelle: Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv, BStU-Kopie: HA VIII - 7776
Carlo Jordan im Mai 1987 auf einem Observationsfoto der Staatssicherheit. Quelle: Stasi-Unterlagen-Archiv, HA VIII - 7776
Am 25. November 1987 informiert Carlo Jordan in der Ostberliner Zionskirche über den nächtlichen Überfall des MfS auf Räume der Gemeinde. Im Namen der Mahnwache und der Umwelt-Bibliothek fordert er die sofortige Freilassung der verhafteten Mitarbeiter und die Rückgabe der beschlagnahmten Druckmaschinen, auf denen die Umweltblätter und der grenzfall vervielfältigt werden. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke/RHG_Fo_SiSch_01_051-01
Carlo Jordan (mitte) am 11. Oktober 1987 in der Galerie der Umwelt-Bibliothek. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke/RHG_Fo_SiSch_01_045-34
Im Januar 1988 gründet sich im Ostberliner Stadtteil Prenzlauer Berg (auf dem Hinterhof in der Fehrbelliner Straße 7) das "Grün-ökologische Netzwerk Arche". Auch Carlo Jordan ist eines der Gründungsmitglieder (oben, mitte). Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke/RHG_Fo_HAB_16108
Sitzung des ersten Runden Tisches am 7. Dezember 1989 im Dietrich-Bonhoeffer-Haus. Die Vertreterinnen und Vertreter der Oppositionsgruppen sitzen an der linken Seite des rechteckigen Tisches. Carlo Jordan sitzt als Vertreter der Grünen Partei in der DDR am Runden Tisch. Sitzend von links nach rechts: Gerd Poppe, Wolfgang Ullmann, Ulrike Poppe, Ingrid Köppe, Rolf Henrich und Carlo Jordan. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Rolf Zöllner/RHG_Fo_RZ_0201

"Carlo Jordan gehört zu jenen Zeitgenossen, die ganz in sich ruhen, sich kaum von etwas beirren oder aus der Ruhe bringen lassen." Diese von dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk im Begleitband zur Ausstellung "Gesichter der Friedlichen Revolution" liebevoll beschriebene Hartnäckigkeit prägte Carlo Jordans vielfältiges Engagement in der DDR-Opposition. Er war einer der prägnanten Köpfe in der ökologischen Bewegung in den 1980er Jahren.

Carlo Jordan wurde am 5. Februar 1951 als Sohn einer Bäckersfamilie in Berlin geboren. Beeindruckt von den Erlebnissen in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, vermittelte ihm sein Vater früh eine pazifistische Lebenseinstellung. Auf Wunsch seiner Eltern trat er nicht der Pionierorganisation bei und nahm nicht an der Jugendweihe teil. Bereits in der Schule erfuhr er, was es bedeutet, nicht mit dem sozialistischen Mainstream zu schwimmen, als er wegen seiner westlichen Kleidung und seiner langen Haare von den Lehrern drangsaliert wurde.

Carlo Jordan erlernte den Beruf des Zimmermanns, studierte und arbeitete als Bauingenieur. Die antiautoritäre Studentenbewegung im Westen und der Prager Reformkommunismus beeinflussten sein Denken und seinen Wunsch nach einem selbstbestimmten, nonkonformistischen Leben, unabhängig vom Staat. Er schloss sich der Ostberliner Kulturopposition an, die sich Ende der 1960er Jahre im Umkreis einschlägiger Cafés und Klubs traf und organisierte dort Veranstaltungen mit. Seitdem beobachtete und verfolgte ihn die Staatssicherheit kontinuierlich und erfasste ihn in verschiedenen Operativen Vorgängen.

1976 protestierte Carlo Jordan gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und unterzeichnete ein Protestschreiben an Erich Honecker im Zusammenhang mit der Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz. Infolgedessen verlor er seine Arbeit als Bauleiter. Er studierte ab 1978 Philosophie im Fernstudium an der Humboldt-Universität, wurde aber vor seinem Abschluss exmatrikuliert, weil er sich weigerte, sich gegen die polnische Gewerkschaft Solidarność auszusprechen. Ab 1980 arbeitete er als Bauleiter bzw. Dozent für Philosophie und Literatur in kirchlichen Einrichtungen.

Zu dieser Zeit begann Carlo Jordan auch, sich in Friedenskreisen zu engagieren. 1986 zählte er zu den Initiatoren der Berliner Umweltbibliothek. Zwei Jahre später gründete er das das Grün-ökologische Netzwerk Arche mit dem Ziel, die einzeln über die DDR verstreuten ökologischen Gruppen zu vernetzen. Neben der Herausgabe der Samizdat-Zeitschrift Arche Nova machte das Netzwerk mit selbst gedrehten Filmen auf die katastrophale Umweltsituation in der DDR aufmerksam. Einige dieser Filme wurden auch in den Westmedien gezeigt.

Arche Nova ist die Zeitschrift des grün-ökologischen Netzwerkes Arche und wird mit den bescheidenen Mitteln der Untergrundpresse hergestellt. Die Zeitschrift erreicht eine große Leserzahl. In fachlich fundierten Beiträgen berichten die Autoren über Umweltschäden in der DDR und Aktionen der Umweltbewegung. Carlo Jordan ist einer der Redakteure. Quelle: RHG_PS_9
Carlo Jordan berichteten in diesem Bericht von einer Reise durch die Kleinstädte Mölbis, Rötha und Espenhain und die dort stattfindende Zerstörung der Umwelt, Seite 1. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Carlo Jordan berichteten in diesem Bericht von einer Reise durch die Kleinstädte Mölbis, Rötha und Espenhain und die dort stattfindende Zerstörung der Umwelt, Seite 2. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft

Während der Friedlichen Revolution 1989 gehörte Carlo Jordan zu jenen Menschen, die vor einem schnellen Prozess der Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik warnten, war aber kein Vereinigungsgegner. Er befürwortete die Einheit auf dem Weg der Einberufung einer deutschen Nationalversammlung nach Artikel 146 des Grundgesetzes. Im November 1989 gründete er die Grüne Partei in der DDR mit und vertrat diese als Sprecher am Zentralen Runden Tisch, der von Dezember 1989 bis März 1990 tagte. Bis zur Vereinigung der Berliner Parlamente war er Mitglied der im Mai 1990 gewählten Ostberliner Stadtverordnetenversammlung, später 1994/95 des Berliner Abgeordnetenhauses.

Carlo Jordan schreibt am an den Umweltsenator Hamburgs und protestiert gegen einen geplanten Mülltransport aus der Hansestadt in die DDR. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Gründungserklärung der Grünen Partei in der DDR. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/GrüP 1

Im Januar 1990 war Carlo Jordan Initiator der Gedenk- und Forschungsstätte Normannenstraße, die in der ehemaligen Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg errichtet wurde. Im Jahr 2000 promovierte er an der Freien Universität Berlin mit einer Dissertation zur Geschichte der Militarisierung der Humboldt-Universität Berlin. Immer wieder äußerte er sich in Publikationen zur Geschichte der DDR-Opposition.

Carlo Jordan verstarb am 13. Dezember 2023 in Berlin. Die Robert-Havemann-Gesellschaft trauert um einen Menschen, der seine Ideale vor 1989 und danach nie aufgegeben und mit Konsequenz gelebt hat. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und seinen Freundinnen und Freunden.


Portrait Carlo Jordan 2014. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Dirk Vogel/RHG_Fo_HAB_21049

Dank

08.04.2024

Freundschaft erweist sich nicht nur in den freien, frohen und glücklichen Tagen, sondern auch in den schweren Stunden des Abschieds und der Trauer. Diese Freundschaft haben wir in den letzten Wochen durch Trost und Anteilnahme beim Tod unseres Vaters, Schwiegervaters und Großvaters erfahren. 

Er fehlt uns sehr. 

Für das ehrende Geleit zur letzten Ruhestätte, die Blumen, Briefe und E-Mails sowie die vielen mit uns geteilten Erinnerungen an Carlo danken wir herzlich.  

Die Familien Stille/Krüger und Stollberg


Kondolationen

15.12.2023

Gerold Hildebrand

Tod einer Schlüsselfigur

Carlo Jordan war ein begnadeter Kommunikator und ein wesentlicher Organisator der ökologisch-pazifistisch geprägten Opposition im Osten. Durch seine Belesenheit und seinen Humor erwarb er sich früh eine natürliche Autorität und wurde fortan hoch geachtet. Engagement war für ihn schlicht selbstverständlich. Bald wurde er zu einer „Schlüsselfigur“ für die Umweltbewegung in der DDR.

Geboren wurde er am 5. Februar 1951 als Karl-Heinz Jordan. Aufgewachsen in Berlin-Friedrichshain, wo die Eltern eine Bäckerei betrieben, gehörte er, den alle nur noch „Carlo“ nannten, bald zur jugendlichen Subkultur in Ostberlin. Pioniere und Jugendweihe ließ er aus, worin ihn seine Eltern bestärkt hatten, die ihn auch in einen evangelischen Kindergarten geschickt hatten. Der DDR-Jugendorganisation FDJ trat er in der Oberschule zwar bei, verließ sie aber bald schon wieder aus Protest. In der Schule schon war er wegen seiner westlichen Kleidung und seiner langen Haare von Lehrern gemaßregelt worden. Den Mauerbau hatte er als Zehnjähriger erlebt, der noch die Welt hinter der Sektorengrenze hatte kennenlernen können.

Ein Ur-Anliegen: Freiräume schaffen

Den legendären Jugendklub „Box“ in Ostberlin, der 1975 von den Behörden des SED-Staats geschlossen wurde, hatte er Anfang der 70er Jahre mit aufgebaut. Es ging dort vor allem um kulturelle Freiräume und Redefreiheit. Das konnte nicht gutgehen, aber er hat es versucht. Die DDR-Jugendklubs waren eigentlich Einrichtungen unter Aufsicht der FDJ, doch in diesem wurde sich vielen Anweisungen widersetzt und es fanden neben Musikveranstaltungen auch Lesungen und Ausstellungen statt, die der offiziellen Kulturpolitik nicht immer genehm waren. Auch der Woodstock-Film aus dem Westen wurde gezeigt, und alternative Sozialismusmodelle wurden offen diskutiert. Nachdem 1975 ein West-Berliner Radiomoderator zufällig den Klub entdeckt und in seiner Sendung im Radiosender RIAS gepriesen hatte, wurde der Klub umgehend geschlossen. Als Grund nannte die Partei „konterrevolutionäre Umtriebe“. Carlo vergrößerte nun seinen Aktionsradius. Er war viel unterwegs - zum Beispiel in Jena im Kreis früher Oppositioneller um Henry Crasser, Reinhard Fuhrmann und Jochen Anton Friedel, die im nahen Partschefeld eine Landkommune aufbauen wollten. Bald verfügte er über einen großen netzwerkartigen Freundeskreis.

Carlo absolvierte zunächst eine Lehre als Zimmerer und ein Studium des Bauingenieurwesen, dem sich ein Fernstudium der Philosophie und Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin anschloss, von dem er 1982 wegen mangelnder kommunistischer Überzeugung und seiner Sympathie für die polnische Solidarność-Bewegung ausgeschlossen wurde. Als Dozent für Philosophie und Literatur konnte er nur bei der evangelischen Kirche in Potsdam arbeiten. In dieser Zeit nahm er auch an konspirativen Zirkeln und Lesekreisen teil. Eine antistalinistische Grundhaltung hatte sich schon früh bei ihm ausgeprägt. Mit 17 erlebte er die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968. Das Theoretisieren in (undogmatisch marxistischen) Zirkeln aber wurde ihm nicht zur Richtschnur, dafür war er zu praktisch veranlagt. Stattdessen richtete sich sein Handeln bald auf eine stärkere öffentliche Wahrnehmbarkeit von Kritik und Protesten, also genau das, was SED und Stasi am meisten fürchteten: "Öffentlichkeitswirksamkeit" von Oppositionellen.

Schockiert vom Selbstmord des Pfarrer Brüsewitz

1976 unterschrieb er eine Protesteingabe an Erich Honecker. Sie richtete sich gegen die SED-staatliche Diffamierung des Pfarrers Oskar Brüsewitz, der sich im August 1976 in Zeitz durch eine Selbstverbrennung das Leben nahm - aus Protest gegen das repressive Bildungssystem der DDR und den einengenden Einfluss des Regimes auf die Kirche. Carlo wurde von der Stasi verhört und verwarnt, was ihn allerdings nicht davon abhielt, drei Monate später gemeinsam mit Aljosha Rompe gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns zu protestieren.

Anfang der 80er Jahre organisierte er größere Spontan-Fahrraddemonstrationen für Umweltschutz und Abrüstung. Der Stasi gelang es nicht so leicht, solche mobilen Protestformen aufzulösen. Ab 1982 arbeitete er DDR-weit in verschiedenen Ökogruppen mit, die jährlich ein größeres zentrales „Ökoseminar“ organisierten.

Anfang der 70er Jahre hatte Carlo in der Uckermark mit Freunden eine leerstehende Ziegelei gekauft. Die Enteignung folgte 1984, da sich die SED, über deren Funktionäre er sich manchmal als „kommunistische Staatsverweser“ lustig machte, von den unkontrollierbaren Zusammentreffen Jugendlicher auf der „Landkommune“ bedroht fühlten. Nach der Wiedervereinigung 1990 erhielt er das Anwesen zurück und es wurde wieder wochenendlicher Treffpunkt des großen Freundeskreises.

Anfang Mai 1986 gründete er, inspiriert von den "fliegenden Universitäten" der polnischen Opposition, mit Gleichgesinnten die Berliner Umwelt-Bibliothek in der evangelischen Zionskirchgemeinde, die bald zu einem widerständigen Zentrum avancierte. Hier gab es westliche Fach- und Zeitungsliteratur, Konzerte verbotener Liedermacher, Ausstellungen und gesellschaftspolitische Diskussionen sowie im Keller handbetriebene Vervielfältigungsgeräte für Samisdatzeitschriften. Eine Stasi-Razzia mit dem Codenamen „Aktion Falle“ Ende November 1987 machte diesen Ort auch im Westen stärker bekannt. Als Bauleiter war er in diesen Jahren für die erfolgreiche Sanierung der zeitweise polizeilich gesperrten Zionskirche zuständig und verfügte über ein Büro in der Griebenowstraße 16. Dort verfasste er auch Artikel für Samisdatzeitschriften, die listig stets den Stempel trugen "Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch", außerdem schrieb er unter Pseudonym für die Ostberlin-Seite der Westberliner tageszeitung (taz) und nutzte sein Telefon für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch. Horst Edler, ein Gemeindemitglied erinnert sich an eine für Jordan so typisch gewitzte Widerstands-Episode:

"Während des Protestes gegen die Festnahme und Beschlagnahmung in der Umwelt-Bibliothek zog Carlo als Bauleiter vor dem damaligen Eingang an der Kirchenseite einen Kreidestrich als Stasimitarbeiter die Protestierenden der Mahnwache in die Kirche zurückdrängen wollten: Dies ist "Kirchenland" dahinter "volkseigenes" Land, was auch irgendwie akzeptiert wurde. So konnten dort Kerzen auf dem Gitter und an der Wand entlang aufgestellt werden, das flackerde Kerzenlicht zeigte den Leuten den Eingang. Es war nun eine Mahnwache nicht mehr nur in, sondern auch vor Kirchenmauern, sichtbar im öffentlichen Raum."

1988 kam es in der Umwelt-Bibliothek zu einer Spaltung, die sich letztlich aber als produktiv erwies. In der Folge trieb Carlo wesentlich die Gründung und Vernetzung des Grün-ökologischen Netzwerks „Arche“ voran, das künftig DDR-weit und international im Netzwerk „Greenway“, das bis nach Litauen reichte, agierte. Damals war, inspiriert von den grünen Vordenkern im Westen schon viel vom „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“ die Rede, wenn es auch im Osten zunächst um die Einhaltung westlicher Umweltstandards ging.

Heimlich gedrehte Filme über Umweltverschmutzung

Selbst gedrehte Filme über die katastrophale Umweltverschmutzung in der DDR wie „Bitteres aus Bitterfeld“ oder Berichte über leckende Mülldeponien waren damals in westlichen Medien ein „Renner“ wie er zu sagen pflegte, für diejenigen, die schon immer mal Genaueres über die DDR wissen wollten, aber sich bisher nicht zu fragen trauten. Und das waren eben nicht nur Westler. In der gesamten DDR motivierten solche Berichte Nachahmer, so dass die DDR-Umweltbewegung zunehmend wuchs (bis nach Großhennersdorf) und sich auch in Osteuropa verbreitete. Schon vor 1989 unterhielt er Kontakte zu Oppositionellen im Baltikum und nach Finnland. Illegal war er durch die damalige Sowjetunion gereist.

Im Zuge der Friedlichen Revolution im November 1989 wurde Carlo folgerichtig Mitgründer der Grünen Partei in der DDR, als deren Sprecher beim Zentralen Runden Tisch und Abgeordneter in der ersten frei gewählten Stadtverordnetenversammlung von Ostberlin er fungierte.

Am 15. Januar 1990 war er an der Erstürmung der Ostberliner Stasi-Zentrale beteiligt. Er initiierte danach die antistalinistische Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße (ASTAK) mit, in der er sich viele Jahre lang mit Führungen engagierte, wie übrigens auch in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Hier konnte er seine ausgeprägte Erzählkunst und sein fast enzyklopädisches geschichtliches Wissen vor einer dankbaren Zuhörerschaft ausbreiten. Gern wurde er auch als Zeitzeuge interviewt, da er über einen schier unerschöpflichen Erfahrungsschatz verfügte. Fast zu jedem Aufarbeitungsthema konnte er seine eigenen Erlebnisse beisteuern.

Seinen Rufnamen Carlo ließ er sich nun ganz offiziell im Personalausweis eintragen – statt des Karl-Heinz. Ohnehin war dieser bei Freunden und Bekannten unbekannt geblieben und wäre es weiterhin, wenn es keine Einsichtnahme in die Stasi-Akten gegeben hätte, die zuhauf über ihn als „feindlich-negative Person des politischen Untergrunds“ angelegt worden waren. Die grauen Kampfgenossen setzten Spitzel auf ihn an und führten gegen ihn mehrere Operative Vorgänge: „Setzer“, „Kalender“, „Radler“, „Bibliothek“, „Arche“, „Fluß“ und „Bauknecht“, die auf eine Inhaftierung hinarbeiteten. Überraschend wurden ihm Westreisen genehmigt – in der Hoffnung, er würde nicht zurückkehren. Carlo sah im Gegensatz zu anderen DDR-Kritikern in der zunehmenden Ausreisebewegung eine neue oppositionelle Bewegung wachsen, blieb aber selbst im Lande.

Soziale Medien, E-Mails oder überhaupt schriftliche Kommunikation waren nicht so sein Ding. Ein Geburtstagsgeschenk, ein Laptop, für den Freunde gesammelt hatten, erwies sich als Fehlinvestition. Aber er telefonierte intensiv, wusste über aktuelle Ereignisse eher Bescheid als manch Internetnutzer.

2001 publizierte er im Ch. Links Verlag Berlin seine Studie „Kaderschmiede Humboldt-Universität zu Berlin – Aufbegehren, Säuberungen, Militarisierung 1945-1989“. Promoviert hatte er Ende der 90er Jahre an der Freien Universität Berlin.

Carlo war auch immer ein sehr geselliger Zeitgenosse. Ob in seiner offenen Wohnung, in Gaststätten oder anderen raren Versammlungsorten – stets sammelte er Gleichgesinnte und „Jünger“ um sich. Es gelang ihm dabei immer wieder mit Begebenheiten und Anekdoten feuchtfröhliche Runden in der Ostberliner Szenekneipe „Metzer Eck“ zu begeistern und zum Lachen zu bringen. Späterhin noch im „Lokal“.

Vom Bundespräsidenten persönlich geehrt

Für sein Engagement wurde er 2019 gemeinsam mit Rainer Eppelmann, Stephan Krawczyk, Elke Erb, Aram Radomski, Eva und Jens Reich, Rita Sélitrenny, Wolfram Tschiche, Kathrin Mahler Walther, Barbara Sengewald und Ulrich Schwarz mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Sie alle erhielten die Ehrung für ihre Verdienste während der friedlichen Revolution 1989/90 in der DDR.

Ende 2021 musste er sich während der schweren Lockdown-Zeit einer Operation unterziehen. Viele bangten damals um ihn. Gleichzeitig erfuhr Carlo auch immer wieder liebevolle Unterstützung von seinen Kindern und aus dem Freundeskreis. Tapfer übte er das Treppensteigen zu seiner Wohnung im vierten Stock der Fehrbelliner Straße 7, die er 1982 besetzt hatte, und fuhr bald schon wieder Fahrrad.

In der auf seinen Tod folgenden Woche sollte eine medizinische Rehabilitierungskur an der Ostsee beginnen. Zuvor wollte er nochmals die frisch renovierte Zionskirche besichtigen, dazu war er fest verabredet. Beides konnte er nicht mehr realisieren. Am 13. Dezember 2023 ist Carlo im Alter von 72 Jahren verstorben. Er hinterlässt einen Sohn und eine Tochter und viele Freunde, Freundinnen und Wegbegleiter, die ihn vermissen werden. Er hat viele von ihnen mit seinem selbstlosen Engagement geprägt, nicht laut und selbstsüchtig, sondern leise, humorvoll, ansteckend unkompliziert und kreativ.

Gerold Hildebrand, „Tod einer Schlüsselfigur: Ein Nachruf auf Carlo Jordan“, in: Deutschland Archiv, 15.12.2023, Link: www.bpb.de/543765.

21.12.2023

Friedrich Heilmann

Carlo als Gesicht der DDR-Umweltbewegung war für mich ab 1988 präsent.

Er besuchte uns im Pfarrhaus in Wichmannsdorf/Uckermark auf der Suche nach Informationen zur großen Schweinemastanlage Haßleben. Wir hatten ein langes Gespräch, gemeinsames Abendbrot und die Verabredung, in Kontakt zu bleiben. Viele Infos konnten wir leier nicht beisteuern, nur leere Medikamentenpackungen, was den Schweinen alles verabreicht wurde - immerhin. Die Beschäftigten, die bei uns im Dorf wohnten, verweigerten jede detaillierte Aussage.

Als am 26.11.1989 in der Tagesschau die Gründung der "Grünen Partei in der DDR" gezeigt wurde, rief ich sofort Carlo an und der Kontakt war hergestellt (immerhin hatten wir und er Telefon!). Der Gründungsaufruf war leider nicht bis in die Uckermark bekannt geworden. Aber dann war ich dabei und ab Februar 1990 mitglied im Vorstand. Die Zusammenarbeit mit Carlo blieb weiter sehr gut. Parteiämter hat er nie angestrebt, er war der Arbeiter an der Basis und grundehrlich, offen und dem Leben zugewandt.

21.12.2023

Peter Wawerzinek

Ist ja seltsam über diesen Weg noch einmal mit Carlo zu reden. Weiß die Zeit noch. Da in der Ausstellung. Igor Tatschke. Und ich las das erste Mal in der Umweltbilbliothek. Hatte einen Text geschrieben, rückwärts mit der letzten Seite unten rechts beginnend. Zeile für Zeile das Blatt von unter bis nach oben beschrieben. Weiß nicht mehr wie viele Seiten da auf diese Weise zusammengekommen sind. Weiß nur, dass ich sie alle fein aneinander klebte, zusammenrollte, und für die Lesung dann auf allen Vieren, in hündisch ergebener Haltung, wie ich es wollte, vortrug und mit der Nase voranstieß bis zur letzten Anfangsseite. Genauso wie ich unsere Bekanntschaft jetzt von heute an zurück in die Zukunft erinnern muss. Es existiert davon eine Fotoserie von Harald Hauswald geknipst. Die ist an jenem Tag entstanden, als wir und beide kennenlernten.

22.12.2023

Sue Hermenau

Ich habe Carlo in den 90er und nuller Jahren auf der Ziegelei kennengelernt, seinem zweiten Zuhause in der Uckermark. Als junge Schülerin und später Studentin aus Berlin-Hellersdorf, aus einer Familie, in der wenig über die DDR oder die aktuellen Geschehnisse der Wendejahre gesprochen wurde, kamen mir Carlo, seine Freunde und deren Kinder, die ungefähr in meinem Alter waren, wie Menschen von einem anderen Stern vor. Hier konnte man alles fragen und sagen, oft bis in die späte Nacht am Lagerfeuer oder bei stundenlangen Frühstücksrunden unter freiem Himmel. Carlo war inmitten all des Trubels ein Ruhepol. Er hat mich nicht nur durch seine Erzählungen beeindruckt, sondern auch dadurch, wie er mich und meine „dummen Fragen“ behandelte, nämlich offen, zugewandt und auf Augenhöhe. Ich habe mich bei ihm wohl gefühlt, obwohl ich sonst eigentlich ziemlich unsicher war. Auf der Ziegelei spürte ich eine vorher ungekannte Freiheit und Freude, die mich in wichtigen Jahren sehr geprägt und aufgefangen haben. Dank dir für die Abenteuer, Carlo! Mach’s jut. Ich hatte gehofft, dich einfach irgendwo wiederzusehen, aber jetzt bist du plötzlich von uns gegangen. Du wirst uns hier fehlen.

22.12.2023

Nora Wittenburg

Von Carlos Tod erfuhr ich durch eine Berliner Jugendfreundin. Sieschrieb: "Es gibt traurige Nachrichten. Carlo ist gestorben. Ich verbinde ihn absolut mit der Ziegelei und deswegen geht mit seinem Tod da gefühlt eine Ära zu Ende."

Ich war schon lange nicht mehr "draußen". "Rausfahren" nannten viele Berliner:innen ihre Ausflüge auf die alte Krewitzer Ziegelei. In den 90ern und Anfang der 2000er Jahre haben wir, junge Dresdner und Berliner Freund:innen, dort draußen im uckermärkischen Land einen Teil unserer Jugend verbracht.

Es gehörten noch mehr Leute dahin, aber Carlo war der Kopf. Er gehörte genauso dahin wie die großen alten Linden, die schon von Weitem zu sehen waren. Die beiden Bäume standen nahe der Vordertür, die lange nicht genutzt wurde. Alle gingen durch den hinteren Eingang, wo man gleich in der Küche mit der alten Kirchenbank und der Küchenhexe stand. Und dort saß dann eben öfter auch Carlo. Ich erinnere noch, dass er gern Kartoffeln mit Leinöl aß. Und erzählte. Von Berlin, aus der Politik, von früher, aber immer auch von heute, von dieser und jenem und auch vom Ziehbrunnen hinter dem Haus. Von alten Eichenstämmen, von Baustellen und ich bekam nach und nach den Eindruck, er kennt sich irgendwie mit allem aus. Exakt erinnere ich nur noch einige Gespräche. Aber es war irgendwie besonders. Gerade mit fünfzehn oder sechzehn. Als das Interesse an Erwachsenen ansonsten eher begrenzt war. Es ging um Bewegtes. Zeitgemäßes. Gemeinschaftliches. Um Ideen. Irgendwie am Puls. Auch ganz anders nochmal als das Theoretisieren, das ich von zu Hause kannte. Und dann dieser Name, irgendwie italienisch. Auf jeden Fall von weit her. Und gleichzeitig aus Berlin, aus der Fehrbelliner. Spannend. Und immer mit Geschichte.

Carlo hat uns jungen Leuten in meiner Erinnerung damals einen Platz angeboten. Einen Platz außerhalb der Stadt mit Städter:innen, einen Platz da "draußen", wo wir in jeder Stimmung und zu jeder Jahreszeit hin konnten. Am Lagerfeuer sitzen, Holz machen, Partys im Schuppen, im Frühling und Herbst zum An- und Abbaden. Das war ein Muss. Carlo führte uns dann plaudernd durch den Wald zum Petznicksee. Im Winter ging es für uns Jugendliche aufs Eis vom Krewitzsee. Und dann tauchten auf dieser alten Ziegelei immer irgendwelche bunten Typen auf: oft Berliner, auch Jenaer oder Dresdner. Jeder mit seiner eigenen (Ziegelei-) Geschichte. Der Schlüssel zum Haus lag im Versteck beim Schuppen. Man konnte Carlo anrufen und dann "rausfahren". Es war ein ganz besonderer Ort und eine besondere Zeit. Ich behaupte das jetzt einfach mal für viele von uns Jüngeren. In diesen 90er Jahren, in denen soviel drunter und drüber ging.

Ich zehre bis heute von dieser Zeit da "draußen", von dem Raum und dem Beisammensein mit diesen besonderen Menschen. Ich denke an die Offenheit zurück und an Carlos Entschlossenheit, Menschen dort zusammenzubringen, an die Selbstverständlichkeit mit der wir Jugendlichen dort sein durften und einfach dazu gehörten.

Danke Carlo! Danke für diesen freien Raum in dieser besonderen Zeit!

Lass es dir gutgehen, wo immer du jetzt bist!

22.12.2023

Rosemarie Keller

Carlo hat mir sehr viel bedeutet. Er war ein guter Freund und ich vermisse ihn.
In tiefer Trauer.

22.12.2023

Astrid Tag

Als ich im Jahr 1997 an den Teutoburger Platz zog, hatte ich Carlo bereits in einer der KV-Sitzungen bei Bündnis 90/Die Grünen kennengelernt. Nun begegneten wir uns öfters im Kiez, geplant und ungeplant beim Bäcker, auf der Straße oder im Café, wo er gern seine Zeitung und den aktuellen Spiegel las und auch auf spontane Treffen mit Freunden immer hoffte. Irgendwann gehörte ich zur Geburtstagsrunde und war auch auf meinen Quer-durch-die-Uckermark-Fahrten mal auf der Durchreise zu Besuch auf der Ziegelei. Den Wunsch mal an den Jordan zu reisen, setzten wir mit ihm zusammen im Jahr 2016 um. Dafür sammelten wir und hofften darauf, dass Carlo die Reise in vollen Zügen genießen kann. Dieser Wunsch ist dann, wie man den schönen Fotos entnehmen kann, absolut in Erfüllung gegangen.

Auf unserer Reise durch Israel haben wir ebenso, wie beim Einkaufen im Kiez oder beim Kaffee oder Tee immer eine historische Zusatzlektion von Carlo erhalten unter dem Motto: "Weißt du wann …?" oder "Kannst du sagen, wer …?" Auf derartige Fragen wusste Carlo immer eine Antwort und nach einem Gespräch mit ihm war man meist schlauer, als zuvor. Das Interesse an historischen Zusammenhängen und Ereignissen hat er bei mir zwar nicht erst geweckt, aber doch immer wieder angefacht und unermüdlich neu wiederbelebt. Diese Erinnerung werden viele Freunde und Freundinnen sicher mit mir teilen.

Für seine letzte Reise benötigt Carlo nun keinen Onlinezugang mehr. In Gedanken ist er insbesondere bei Reisen in die Uckermark und auch auf Spaziergängen runde um den Teute sowie um die Zionskirche immer mit dabei. Ich behalte Carlo in Erinnerung, sie wie ich ihn noch am Dienstag, den 12.12.2023 gegen 12.30 Uhr in der Zionskirchstraße auf dem Fahrrad gesehen habe. Ich wünsche seiner Familie und seinen Weggefährten eine friedliche Zeit der Abschiednahme und alle Kraft der Welt, um den Verlust eines geliebten Vaters, Großvaters, eines Freundes zu verarbeiten.

 

 

22.12.2023

Mario Schatta

Danke Carlo, für Ideen, Anstand, Impulse, Lachen, Aufrichtigkeeit,

Du hast Gutes in diese verrückte Welt gebracht, und gemeinsam mit Anderen unmöglich gedachtes, möglich gemacht.

23.12.2023

Steven Sello

Als meine Eltern Mitte der 1980er in die Fehrbelliner Straße 7 zogen wohnte Carlo dort schon in der Nachbarwohnung. Bei Carlo waren ständig Leute aus aller Welt zu Besuch. Später, in den 90ern, kam Carlo manchmal zum Baden (wir hatten lange die einzige Badewanne im Haus) oder zum Abendessen (eine Zeit lang haben wir einmal in der Woche fürs Haus gekocht) zu uns in die Wohnung.

Vor allem habe ich Carlo aber auf der Alten Ziegelei kennengelernt. Anfang der 1970er Jahre hat Carlo bei einer seiner ausgedehnten Radtouren das freistehende Gehöft in der Uckermark entdeckt und zusammen mit Freunden erworben. Dort traf sich über viele Jahre ein großer Freundeskreis. Auch meine Eltern fuhren mit uns Kindern dahin. Ganz dunkel erinnere ich mich an den weiten Weg mit dem Fahrrad (ich saß vorne bei meinem Vater auf dem Kindersitz) auf dem alten Bahndamm, der damals noch ein holprige Piste war.

1984 wurde die Alte Ziegelei von der Stasi zwangsgeräumt und demoliert. Nach 1990 erhielt Carlo das Anwesen zurück und es wurde erneut zum Treffpunkt für einen großen Kreis von Leuten. Mitte der 90er, als Jugendlicher, entdeckte ich die Ziegelei für mich und fuhr regelmäßig - mal mit Freunden, mal allein - raus. Wir saßen nächtelang am Lagerfeuer, stapften durch die umliegenden Wälder und badeten in den Seen (Anbaden im Mai und Abbaden beim Herbstfest im Oktober!). Gebannt lauschte ich Carlos Erzählungen, der (auch schon zu Ostzeiten) viel gereist war und unglaublich viele Leute kannte. Die Alte Ziegelei war ein besondere Ort, an dem sich junge und alte Leute auf eine ungezwungene Art begegnen konnten. Die vielen Leute, die Offenheit und die Freiheit haben mich tief beeindruckt. Der freie Blick übers Feld, die leuchtend roten Ziegel im Sonnenschein, das hat sich tief eingeprägt. Erst jetzt im Rückblick begreife ich wie wichtig das für mich war.

Mach's gut lieber Carlo!

06.01.2024

Lina

Carlo hat mein Leben sehr beeinflusst und dafür möchte ich ihm noch heute danken. Für mich ist er ein Dickkopf im positiven Sinne, ein offenherziger Mensch, der seine Ideen auch lebte und dadurch die Welt jeden Tag ein bisschen besser gemacht hat. Indem er seine Ziegelei den Menschen öffnete, hat er mir eine Heimat geschenkt.

09.01.2024

Justus von Widekind

Carlo hatte die Ruhe weg, meistens. Auch als wir 1988 bei ihm als unbekannte Westler von einem „Global Challenges Network e.V.“ aus München in der Umweltbibliothek auftauchten. Ob wir nun echt oder Spitzel waren, war ihm offenbar erst einmal egal. An unserer „Regatta für Kultur, Ökologie und Frieden“, auf russischen Segelbooten von Leningrad nach Kiel, durfte kein DDR-Bürger teilnehmen, auch Anlegen in Rostock kam nicht in Frage. Nur Stephan Krawczyk hatte es irgendwie geschafft, zum 1. September 1989 nach Gdansk (50 Jahre Nazi-Angriff auf Polen) zu kommen und dort auch zu musizieren.

Später im September tagte dann das mittel- und osteuropäische Umweltnetzwerk Greenway erst- (und letzt-)malig in der DDR. Carlo organisierte. Die Diskussion litt deutlich unter der Obstruktion von Spitzeln: Immer wenn ein inhaltlicher Austausch an Schwung und Tiefe gewann, wollte jemand ganz dringend über Strukturen reden. Gelang das, dann erklärte ein anderer das für sinnlos – ohne Inhalte. Ideen, ob und wie man das ändern könnte, besprach ich im Garten ausgerechnet mit Falk Zimmermann (seit 1979 IM „Reinhard Schumann“), ergebnislos. Abends fuhr Carlo mich mit seinem Trabbi noch zum Tränenpalast (auch „GÜSt Friedrichstraße“), für die rechtzeitige Rückkehr in den goldenen Westen. Die Staatsmacht war gut informiert: Fast zwei Stunden durfte ich in einem Zimmerchen warten, während man meine Unterlagen und Notizen prüfte (und kopierte?).

Keiner ahnte, dass 10 Wochen später die Mauer Geschichte sein würde – außer: Manche wirkten etwas vorsichtiger als noch ein Jahr zuvor. Wohl wegen des allgemeinen Gefühls, dass die Dinge in Bewegung kamen. Und genau das wollte natürlich keiner der Aktiven im Knast verpassen.

Beim nächsten Treffen mit Carlo war die Mauer schon offen – und die Ost-West-Telefonleitungen so überlastet wie unbrauchbar. Dabei ging es Schlag auf Schlag: Mauerfall, Gründung Grüne Partei, Runder Tisch, Regierungserweiterung, Volkskammerwahlen, CDU-SPD-Regierung. Und die Westler aus München bastelten inzwischen eine Stiftung Umwelt und Naturschutz der DDR e.V. (S.U.N.) in Pankow.

Aber Carlo machte immer weiter … mit Politik, mit Zeitzeugenschaft, Promotion und seiner Begeisterung für Ernst Haeckel, den „Erfinder“ der „Ökologie“.

In seiner Zehlendorfer Zeit, 201x-201y, war er fast Nachbar, zu sehen aber nur in Fernseh-Dokus. Jetzt, wo es zu spät ist, wünsche ich mir, ich hätte mich stärker bemüht.

13.01.2024

Albrecht Wetzel

Lieber Carlo!

Wir haben uns 1989/90 kennengelernt, wann genau kann ich nicht mehr sagen.
Was ich aber noch weiß, ist, dass ich dies ausgerechnet einem Menschen zu verdanken habe, der kurze Zeit nach dem Ende der DDR als Stasi-Spitzel enttarnt wurde.
Vielleicht gibt es ja manchmal doch etwas gutes im schlechten.

In einer Zeit in der ich nach innerer Orientierung suchte, hast du mich angenommen. Dafür bin ich dir bis heute dankbar.
Schon kurze Zeit später haben wir viele gemeinsame Dinge unternommen.
Reisen nach Norwegen, Frankreich, Bornholm, Radtouren etc.

Du hast mir Räume (sowohl geografisch als auch personell) eröffnet, die sich vorher weit außerhalb meines eigenen Horizontes befanden.
Die Prignitz, die Uckermark und all die Menschen die ich dort kennenlernte, und mit denen mich teilweise bis heute ein Freundschaft verbindet.

Und natürlich dein Landhaus in der Uckermark, die Ziegelei.

Als du mich zum ersten Mal (wahrscheinlich 1990) auf die Ziegelei mitgenommen hast, befand sie sich, nach deiner Zwangsräumung durch die Stasi in den 1980er Jahren, in einem bejammernswerten Zustand.
Seit deiner Zwangsräumung waren die Ergebnisse des gezielten Verfallenlassens, betrieben durch den SED-Staat, nicht zu übersehen.

Zwischenzeitlich hatte sie als Kuhstall gedient; in der Türöffnung stand eine Matratze; die Fußböden und Öfen waren herausgerissen; die Fensteröffnungen waren zwar zu, ließen sich aber nicht öffnen; die Abdeckung des über 20 Meter tiefen Brunnens fehlte seit Jahren, so daß alles mögliche hineinfallen konnte.
In den ersten Jahren nach 1990 wurde Trinkwasser mitgebracht, weil das Wasser aus dem Brunnen, wenn überhaupt, nur abgekocht trinkbar war.
Immerhin hattest du es geschafft das Dach einigermaßen dicht zu halten, obwohl du dich dort offiziell gar nicht aufhalten durftest.

Neben deiner örtlichen Verbannung ließen die "staatlichen Organe" der DDR nichts unversucht, um dich auch bei der örtlichen Bevölkerung in Mißkredit zu bringen. Einige Jahre später erzähltest mir du von einem Stasibericht in dem von "okkulten Nackttänzen und Gruppensex" zu lesen sei, die angeblich auf der Ziegelei stattgefunden hätten.

Einiges von dem was baulich noch übrig war sah ich 1990, und viele Erzählungen später bekam ich ein immer umfassenderes Bild, was die Ziegelei (lange vor meiner Zeit) einmal war.
Im Laufe der Jahre wurde sie auch genau das wieder (ohne Gruppensex, der nie stattfand).

Ein Spruch den du damals gern gebracht hast ist mir in Erinnerung geblieben:

"Die Ideale sind ruiniert, rettet die Ruinen."

Die Ziegelei (wahrlich auferstanden aus Ruinen) wieder zu einem Begegnungsort (Prinzip offenes Haus) zu machen war dein Lebenswerk, das hoffentlich noch lange über deinen Abschied vom irdischen Leben hinausreichen wird.

Ich erinnere mich sehr gerne an all die Feiern, durchsumpfte Nächte am Lagerfeuer, in der Sauna, An- und Abbaden.
Ich bin sehr froh und dankbar Teil dessen zu sein. In manchen Jahren war ich häufiger auf der Ziegelei, in manchen weniger, aber ich hatte und habe immer das Gefühl dazu zu gehören. Das war und ist mir ein sehr wichtiger Bezugspunkt in meinem Leben.

Wenn man das liest, könnte man der Meinung sein, daß zwischen dir und mir immer alles Friede, Freude, Harmonie war.
Zur Wahrheit gehört jedoch, daß dies in den letzten Jahren leider nicht so war.

In den letzten Jahren gab es zunehmend Mißtöne zwischen uns, die es mir immer schwerer machten dem postiven, unserer Freunschaft, ein Primat einzuräumen. Manchmal fragte ich mich, was sagt Carlo denn da, ist das immer noch die Freunschaft, die uns viele Jahre miteinander verband?
Die einzige mir offenstehende Möglichkeit war, vorerst etwas Distanz zu dir zu schaffen. So hat es sich entwickelt, daß wir uns in den letzten Jahren immer mehr voneinander entfernt haben.
Du hast mich in den letzten Jahren zu meinem Geburtstag nicht mehr angerufen (was du früher immer getan hast), ich dich zu deinen letzten Geburtstagen gelegentlich. Das vieleicht ist nur eine Kleinigkeit, läßt aber tief blicken.

Im Jahr 2023 sind zwei Freunde aus meinem unmittelbaren Umfeld gestorben.
Spätestens da wurde mir klar, daß ich mit den noch verbliebenen Freundschaften deutlich sorgsamer umgehen muß, vor allem wenn es noch Dinge gibt, die man noch in diesem Leben mit Ihnen klären möchte.

Einige Wochen vor dem du uns so unerwartet schnell verlassen hast, hatte ich mir vorgenommen wieder auf dich zuzugehen, und unserer alten Freundschaft wieder auf die Beine zu helfen.

Dazu kam es leider nicht mehr. Ich bedaure dies zu tiefst.

Lieber Carlo, dorthin, wo du nun gegangen bist, werden wir dir alle früher oder später folgen.
Ich weiß nicht was oder wie oder wo das ist, aber ich glaube fest daran, daß der Abschied von diesem irdischen Leben nicht das Ende ist.

Mach für uns schon einmal einen Platz am Frühstückstisch in der himmlischen Ziegelei klar.

Ein Kasten Bier wird nicht reichen, nicht mal zum Frühstück ;-)

Du warst mir ein sehr guter Freund der mein Leben ungeheuer bereichert hat.
Machs gut alter Knabe und fühle dich herzlich von mir umarmt.

Dein Albrecht

13.01.2024

Vollrad Kuhn

Redebeitrag zur Gedenkfeier für Carlo Jordan am 12.01.24 in der Zionskirche

Zitat aus der Traueranzeige: Er ging aufrecht seinen Weg und inspirierte andere. Ein guter Freund und begnadeter Organisator der pazifistisch und ökologisch geprägten Opposition in der DDR ist von uns gegangen. 

Ich möchte jetzt auf zwei Aspekte dieser Oppositionstätigkeit, die besonders von Carlo geprägt waren, eingehen. Carlo sehr belesen, kannte die Klassiker unter den Philosophen, aber auch Trotzki und Co. Er war als angehender Historiker oft sehr genau und wollte immer alles im Detail benennen und auch entsprechend mit Namen in den Veröffentlichungen bzw. Medien erwähnt werden. Also lieber Carlo, wenn du das hier hören kannst – ich muss hier auch angesichts der knappen Zeit den Mut zur Lücke haben, das verstehst du doch sicher, oder?

arche – das Grüne Netzwerk in der Ev. Kirche in der DDR

Ca. 2 Jahre nach der von Carlo mit gegründeten Umweltbibliothek war er ein wesentlicher Initiator für das das Grün-ökologische Netzwerk arche unter dem Dach der Ev. Kirche mit dem Ziel, die einzeln über die DDR verstreuten ökologischen Gruppen zu vernetzen.

Anfang Januar 1988 trafen sich dazu ca. 35 Vertreter_innen verschiedener Ökogruppen in Berlin, wo eine kontinuierliche Zusammenarbeit und auch Koordinierung i.R. eines Netzwerkes mehrheitlich als notwendig erachtet wurde. Das seit etlichen Jahren bestehende Vertretertreffen der kirchlichen Umweltgruppen im Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg reichte dafür bei weitem nicht aus.

Es wurde eine vorläufige Gründungserklärung zur „arche – das Grüne Netzwerk i.d. Ev. Kirche“ verabschiedet. Carlo Jordan, Matthias Voigt und Ulrich Neumann standen unter dem Gründungaufruf, dazu kamen vorläufige Kontaktadressen, die vor allem durch Carlo ganz bewusst entsprechend der landeskirchlichen Gliederung und nicht nach den damaligen Bezirken zugeordnet wurden.

Das Netzwerk organisierte regelmäßige Treffen in den Regionen. So fanden die Koordinierungstreffen der Regionalgruppe Berlin-Brandenburg Mittwochs in Gemeinderäumen von St. Andreas-Markus, Stralauer Platz (gegenüber dem jetzigen Ostbahnhof) statt.  Nachdem der Einfluss des MfS auf den Gemeindekirchenrat dazu führte, dass der Pfr. Schneider dort seine Zusage zurückziehen musste und verschiedene andere Kirchengemeinden die arche nicht beherbergen wollten landeten wir bei der Ev. Kirchengemeinde in Berlin-Friedrichsfelde (Pfr. Gartenschläger) – und das wurde auch durch das MfS unterstützt, wie wir nach der Wende erfahren durften!

Die Regionalgruppe Berlin-Brandenburg hatte zeitweise 16 thematische und lokale Untergruppen, dazu gehörten u.a.

  • die Redaktionsgruppe für die „Arche Nova“ (neben Carlo war ich auch dort verankert),
  • die Gruppe internationale Kontakte/Reiseservice – hier kam es zu einem Austausch und mehrfachen Besuchen von NGO-Vertreter_innen aus Mittel- und Osteuropa bis hin zur Mitgliedschaft der arche im Greenway-Netzwerk
  • und die Gruppe Ökologie und Menschenrechte, in der sich auch viele Ausreiseantragsteller_innen vernetzten und die maßgeblich kritisch die Vorbereitung und Beobachtung der Kommunalwahlen im Mai 1989 mit begleitete.

Die 1. DDR-weite Vollversammlung der arche fand mit ca. 120 Teilnehmer_innen am 18.02.89 in Halle statt. Dort wurde aus den einzelnen Regionen und thematischen Projektgruppen berichtet und auch Solidaritätserklärungen zur Unterstützung von Umweltaktivist_innen in Cottbus und verhafteten Menschenrechtsaktivist_innen in Tschechien verabschiedet.

Die Samizdat-Zeitschrift Arche Nova war nach meiner Einschätzung zusammen mit den Umweltblättern das wichtigste periodisch im Wachsmatrizenverfahren hergestellte unabhängige Sprachrohr zu Umwelthemen in der DDR (Umfang i.d.R. an die 100 Seiten, 5 Ausgaben sind erschienen mit jeweils 1 – 2 Schwerpunktthemen, Diskussionspapieren und Vernetzungsthemen, Berichte aus den Regionen und aus anderen soz. Ländern und weitere internationale Informationen, im Anhang fanden sich Auszüge aus in der DDR nicht erhältlichen kritischen Veröffentlichungen und zu „weißen Flecken“ d.h. offiziell nicht bekannte Tatsachen über die Auswüchse des Stalinismus in der Sowjetunion, die vor allem Carlo beisteuerte).

Wir haben die Arche Nova heimlich in meinem Bauleiterbüro des Diakonie-eigenen Hotels in der Marienstr. hinter dem Bhf. Friedrichstr. hergestellt – auch dank Carlos Einsatz beim Organisieren des Matrizengeräts!

Neben der Herausgabe der Arche Nova konnte das Netzwerk mit Hilfe von Unterstützer_innen in Ost und West durch selbst gedrehte Videoaufnahmen auf die katastrophale Umweltsituation in der DDR aufmerksam machen. Ich erinnere an den Film „Bitteres aus Bitterfeld“, der in der ARD-Sendung „Kontraste“ lief und in Ost und West für beträchtliches Aufsehen sorgte.

Ein wichtiger Höhepunkt war der von der arche initiierte und gemeinsam mit Unterstützer_innen in Westberlin organisierte 1. Gesamtberliner Umwelttag Anfang Juni 89. Neben den Hauptveranstaltungen in der Bekenntniskirche Plesserstr. Treptow fanden Exkursionen u.a. auf der Spree und zur Stadtbauökologie unter Beteiligung auch von Vertreter_innen aus dem Westteil der Stadt statt. Es gab eine Abschlusserklärung, die konkrete Vorschläge zur grenzüberschreitenden Umwelt-Zusammenarbeit enthielt und von der AL im neu gebildeten rot-grünen Senat unterstützt wurde. Der Magistrat von Ostberlin und das MfS hatten schon im Vorfeld versucht, die Veranstaltung zu behindern. Im Nachgang gab es dann ein offizielles Gespräch der arche-Vertreter_innen – auch Carlo - mit dem Magistrat, die Staatsvertreter vermittelten dabei eine vorsichtige Öffnung im Hinblick auf unsere Anliegen, wollten aber bei zukünftigen Aktionen jeweils vorher einbezogen werden, was wir ablehnten.

Die Wende in der DDR war ja nicht mehr weit, und auch wir wollten zusammen mit anderen Oppositionellen eine stärkere politische Einflussnahme. Am Ende stand die Gründung von Parteien bzw. wählbaren Organisationen auf der Tagesordnung, zumal sich die DDR zunehmend in Auflösung befand.

Carlo hatte dann die Idee und die Schritte zur Gründung der Grünen Partei der DDR maßgeblich mit entwickelt und begleitet.

Ausgangssituation war die inhaltliche Übereinstimmung und ein gemeinsames Interesse an einer Wende bzgl. der Umweltpolitik in der DDR zwischen:

  • Grünem Netzwerk Arche in der Ev. Kirche der DDR
  • Selbständig arbeitenden kirchlichen und unabhängige Umweltgruppen
  • Für Natur- und Umweltschutz Engagierten in der Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund der DDR

26.10.89 trafen sich Vetreter_innen dieser Gruppen zur Vorbereitung des 6. Berl. Ökologieseminars, auch um über mögl. Formen der Koordinierung und Zusammenarbeit zu diskutieren – die Idee einer Dachorganisation entstand. Allerdings wurde die Gründung einer grünen Partei noch mehrheitlich abgelehnt, was angesichts der gerade erfolgten Gründung von Ost-SDP und Demokratischem Aufbruch gerade von Carlo und einigen anderen bedauert wurde.

Die Anhänger_innen einer Parteigründung trafen sich dann unter Initiative von Carlo danach noch mehrmals, eine Initiativgruppe für die Gründung einer grünen Partei verfasste einen Gründungsaufruf.

Am 05.11.89 trat die Initiative mit dem Gründungsaufruf i.R. des Sonntagsgesprächs in der Treptower Bekenntniskirche, wo sich auch am gleichen Tag andere Initiativen vorstellen konnten, erstmals an die Öffentlichkeit. Wir trafen uns danach fast täglich, sogar am Abend des Mauerfalls, um die Parteigründung weiter vorzubereiten. Die Nachricht vom Mauerfall war an dem Abend zwar zu uns durchgedrungen, für Carlo und uns andere war das aber erstmal zweitrangig, wir wollten unsere Arbeit zu Ende bringen!

Am 24.11.89 wurde dann nach Eröffnung des 6. Berliner Ökologieseminars in der Bekenntniskirche gegen 21 Uhr die Gründung der Grünen Partei verkündet

Nach teilweise tumultartigen Szenen beruhigte sich die Situation, die Diskussionen in getrennten Gruppen am Folgetag führte zur Wahl des vorläufigen Sprecherrats. Am 26.11. gab es zum Abschluss eine gemeinsame Pressekonferenz der 6 gewählten vorläufigen Sprecher_innen (darunter Carlo und ich) und der Initiatoren für einen Verband Grüne Liga.

Die Anmeldung der Grünen Partei erfolgte dann am 28.11.89 beim Innenministerium der DDR.

Der 1.Parteitag fand in Halle am 08./09.02.90 statt – neben der Diskussion und Verabschiedung des Parteiprogramms wurden die 6 endgültigen Sprecher_innen gewählt.

Für die Grüne Partei nahmen am Zentraler Runden Tisch bis zu den Volkskammerwahlen Carlo und Mariannen Dörfler teil.

Außerdem wurde für die Grüne Partei Matthias Platzeck als Minister ohne Geschäftsbereich in die Modrow-Regierung entsandt.

Die Volkskammerwahlen am 18.03.1990 ergaben enttäuschende 2,9 % für B 90 und 2 % für das Wahlbündnis Grüne Partei und UFV. Für dieses Bündnis zogen insgesamt 8 Abgeordnete, u.a. Matthias Platzeck in die Volkskammer ein.

Carlo wurde dann im Mai 1990 als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung von Ost-Berlin für die Grüne Partei gewählt. Die Partei fusionierte dann Ende 1990 mit den bundesdeutschen Grünen, in Berlin mit dem Landesverband AL.

Ich habe mich mit Carlo oft auch privat getroffen, da erzählte er manchmal auch skurrile Geschichten aus seinem Leben. Ich erinnere mich an eines der letzten Treffen in seiner Wohnung, da fragte er mich, ob ich wüsste, wer den Molotov-Cocktail erfunden hätte. Dann erzählte er, dass im sowjetisch-finnischen Winterkrieg ein Apotheker – der Großvater seiner ehemaligen finnischen Freundin – Glasflaschen gefüllt mit brennbaren Flüssigkeiten und einem Lappen als Lunte als einfaches und wirkungsvolles Mittel zur Verteidigung gegen die Übermacht der sowjetischen Panzer erfunden hatte. Das war Carlo – ein wandelndes Buch!

Abschließend muss ich hier auch feststellen, dass Carlo, der die Strömungsarithmetik bei den gesamtdeutschen Grünen und der AL nicht mittragen konnte und wollte, damit nur noch geringe Chancen für einen guten Listenplatz bei der Aufstellung für Wahlen zum Landesparlament hatte. Das war für ihn, der es gelernt hatte, offen die Dinge anzusprechen und sich nicht zu verbiegen, nicht leicht zu akzeptieren.

Deshalb gilt heute mein besonderer Dank an Emily Büning vom Bundesvorstand B 90/Grüne, dass du Carlo und seine Rolle und Bedeutung für die Grünen gewürdigt hast! Und ich bin mir sicher, dass er sich darüber freuen würde!