In der DDR gab es immer wieder Versuche, der unabhängigen Kunstszene eine – wenn auch begrenzte – Öffentlichkeit zu bieten. Menschen, die selbst künstlerisch tätig oder anderweitig mit der Szene verbunden waren, richteten in ihren Privatwohnungen Galerien ein, in denen Gemälde, Zeichnungen Grafiken, Fotos etc., die in der offiziellen Sphäre nicht gezeigt werden durften, ausgestellt werden konnten, begleitet von Lesungen, Performances, Puppen- und Schauspiel, musikalischen Events.
Auch Dietrich Bahß und seine Frau Ingrid eröffneten in Magdeburg eine solche Galerie.
Dietrich Bahß wurde 1949 in Ballenstedt/Harz geboren. Er studierte ab 1967 Mathematik an der Universität in Magdeburg. Sein öffentlicher Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 hatte einen Eintrag in seine Akten zur Folge, der ihm trotz seines Studienabschlusses mit Bestnote eine berufliche Laufbahn als Mathematiker in der DDR versperrte. Bis 1981 arbeitete er geistig unterfordert und ohne Perspektive in verschiedenen Betrieben. In dieser Zeit entdeckte er sein Interesse für die Fotografie. Er besuchte Lehrgänge, wurde Mitglied in einem Fotozirkel beim Kulturbund und von der evangelischen Kirchenleitung in Magdeburg als Fotograf für die Kirchenzeitung zugelassen. Er und seine Frau knüpften Kontakte in die subkulturelle und alternative Szene in Magdeburg. Ihre großzügige Altbauwohnung in der Hegelstraße 33 bot Platz, um diesen Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform zu bieten. Die 1981 gegründete Galerie wurde zu einem lebendigen Ort des Andersseins und einer von Maßregelungen und Vorgaben befreiten Kreativität, dessen Existenz sich auch in Ost-Berlin, Leipzig und Dresden schnell herumsprach. Hier stellten prominente und unbekannte Künstler:innen abseits der staatlichen Kontrolle aus. Musik und szenische Darstellungen bereicherten die Vernissagen. Regelmäßig fanden Autorenlesungen statt. Mit dabei waren u.a. Cornelia Schleime, A.R. Penck, Heiner Müller und Sascha Andersson. Letztgenannter wurde bekanntlich im November 1991 als IM des MfS enttarnt und war nicht unwesentlich daran beteiligt, dass Dietrich und Ingrid Bahß 1983 von der Staatssicherheit gezwungen wurden, die Galerie zu schließen und ihrer Ausreise aus der DDR zuzustimmen. Sie gingen nach Köln und auch hier standen für Dietrich Bahß und seine Frau die Realisierung eigener Fotoprojekte und das Engagement für Literatur, Musik und Kunst im Mittelpunkt ihres Lebens. Nach dem Ende der DDR weiteten sie ihre Aktivitäten von ihrem Landhaus in Werben /Altmark auch wieder auf ostdeutsches Gebiet aus und organisierten Ausstellungen, Lesungen und Konzerte.
Vor einem Jahr, am 24. Mai 2023, verstarb Dietrich Bahß. Die Robert-Havemann-Gesellschaft möchte aus diesem Anlass an ihn und sein außergewöhnliches Engagement erinnern. Dietrich Bahß dokumentierte die subkulturelle Kunstszene ab 1976 und die 14 Ausstellungen und künstlerischen Events, die zwischen 1981 und 1983 in seiner Wohnungsgalerie stattfanden in eindrücklichen Schwarz-Weiß-Fotografien umfangreich. Damit liegt erstmals eine vollständige fotografische Überlieferung einer privat gegründeten Galerie vor. Den insgesamt 12.000 Fotos umfassenden Fotobestand von Dietrich Bahß bewahrt die Robert-Havemann-Gesellschaft in ihrem Archiv auf. Sie sind ein eindrückliches Zeugnis künstlerischer Selbstbehauptung in der Diktatur.