Digitales Kondolenzbuch für Thomas Auerbach

Am 4. Juni verstarb mit Thomas Auerbach einer der großen Bezugspunkte der Jenaer Oppositionsszene. Viele seiner Freunde und Weggefährten haben nun das Bedürfnis, ihm einen letzten Gruß zu hinterlassen und ihre Erinnerungen mit anderen zu teilen. Ihrer Anteilnahme und Ihren Gedanken zu Thomas Auerbach wollen wir hier einen Raum geben.

Beiträge für das digitale Kondolenzbuch senden Sie bitte an fe(at)havemann-gesellschaft.de. Diese werden geprüft und dann zeitnah online gestellt.

Nachruf des Berliner Aufarbeitungsbeauftragten Tom Sello auf Thomas Auerbach

Porträt über Thomas Auerbach und seine Zeit in West-Berlin von 1983 (Youtube)

Trauerrede von Ilko-Sascha Kowalczuk und Tom Sello für Thomas Auerbach zu dessen Beerdigung am 2. Juli 2020

Predigt von Ehrhardt Neubert zu Beerdigung von Thomas Auerbach

10.07.2020

Manfred Wilke

Thomas Auerbach

Persönlich lernten wir uns kennen bei der Begrüßung der „aus der Staatsbürgerschaft der DDR“ entlassenen politischen Häftlinge bei ihrer Ankunft in West-Berlin. Die Abwicklung des Häftlingsfreikaufs lag in den Händen von zwei Vertrauensanwälten der beteiligten Regierungen. Das Mandat der SED hatte der Rechtsanwalt Wolfgang Vogel aus Ost-Berlin. Sein westdeutscher/West-Berliner Gegenspieler war Rechtsanwalt Stange. Nachdem Stange die Neuankömmlinge begrüßt und mit Orientierungshinweisen über die für sie zuständigen Ämter des West-Berliner Senats unterrichtet hatte, forderte er die Anwesenden auf, über die Umstände ihres Weges aus den Haftanstalten der DDR nach West-Berlin zu schweigen. Diese Aufforderung an die freigekauften Häftlinge begründete er mit dem Argument, auf die DDR-Staatsbürger Rücksicht zu nehmen, die diesen Weg der diskreten innerdeutschen Konfliktlösung auch zukünftig nutzen wollten. Die freigekommenen Häftlinge kamen aus dem Gefängnis einer Diktatur, in der die Staatsbürger nicht das Recht der freien Rede in politischen Angelegenheiten hatten. Nun waren die ehemaligen Häftlinge aber in einen Staat gekommen, der das Recht der freien Rede für jeden Bürger im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert hat. Diese Aufforderung von Rechtsanwalt Stange war ein Schock für die Angekommenen, von denen doch viele glaubten, endlich über die SED-Diktatur, ihre politische Justiz und vor allem ihr eigenes Schicksal öffentlich sprechen zu können. Der Rechtsanwalt hatte ihnen nur die Geschäftsbedingungen für den Häftlingsfreikauf zwischen der Bundesrepublik und dem SED-Staat erläutert, den er zusammen mit seinem Ost-Berliner Partner Vogel abwickelte.

Trotz dieses Schweige-Appells des Rechtsanwalts, stellten Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach und Christian Kunert in einer Erklärung klar, dass sie nicht freiwillig die DDR verlassen hatten und das galt auch für Thomas Auerbach. Fuchs, Pannach und Kunert erklärten nach ihrer Ankunft in West-Berlin: „Wir sind nicht freiwillig nach Westberlin gekommen. Über ein dreiviertel Jahr hinweg versuchten wir, den widerlichen Methoden der Staatssicherheit unsere feste Absicht entgegen zu setzen, dass wir in der DDR leben wollten, um dort als Künstler mitzuhelfen, eine fortschrittliche, menschenwürdige Gesellschaft zu verwirklichen, in der DDR zu leben und nicht im Gefängnis zu Grunde zu gehen.“  Heinz Brandt, der Auschwitz und Bautzen überlebt hatte und das Schutzkomitee von Anfang an rückhaltlos unterstützt hatte, beurteilte diese Presseerklärung unter einem besonderen Aspekt: Wer nach der Haft noch eine solche öffentliche Erklärung abgibt, den haben sie durch die Haft nicht gebrochen!

Die Gruppe Listy, in der sich tschechische und slowakische Exponenten, Aktivisten des Prager Frühlings, aus ihrer Heimat vertriebene Oppositionelle des Prager Frühlings im Exil zusammengeschlossen hatten, solidarisierte sich mit den Verhafteten aus Jena. Nach deren Ankunft in West-Berlin fragte mich Jiri Pelikan, während des Prager Frühlings Direktor des tschechoslowakischen Fernsehens, der nun im römischen Exil lebte, er bereite eine Konferenz in Turin 1979 über die Opposition in den sozialistischen Staaten vor, ob jemand aus der kirchlichen Opposition aus Jena daran teilnehmen könnte. Ich versprach ihm zu helfen, dieses Problem zu lösen.

 Thomas Auerbach fuhr nach Turin, um an dieser Konferenz teilzunehmen. Die Einladung von Pelikan hatte eine doppelte Bedeutung: 1. Respekt vor einem Aktivisten der DDR-Opposition und 2. gemeinsam  solidarisch zu kämpfen, um die Hegemonie in der Sowjetunion aufzubrechen und die über die Ostblockstaaten.

Auerbach galt in Turin als Mann der evangelischen Kirche aus der DDR, seine dortige innerkirchliche Amtsbezeichnung Diakon war im katholischen Italien unbekannt; so wurde er in Turin ohne weitere Umstände zum „Padre Auerbach.“

05.07.2020

Peter Seifert

Tommy - 

er war einer von uns und er bleibt einer von uns,

das ist mein erster Gedanke, wenn ich an ihn und die Begegnungen wie auch die gemeinsamen Zeiten denke.

Ein sanftmütiger Rebell war er, der aber auch für seine Sache engagiert "aufbrausen" konnte.

Gespräche mit ihm waren immer etwas erfrischendes und sein grundsätzliches "in den Bart grandeln" war nie Ablehnung, sondern der Versuch, den Gegenüber in sein Denken einzubinden und ihn mitzunehmen. 

Für mich als Freund und Mitstreiter war Tommy ein Mensch der immer etwas zu sagen und dessen Meinung Gewicht hatte. 

Ob in den 70er Jahren in Eisenach, oder in den vielen gemeinsamen Zeiten in Pfarrer Walter Schillings Rüstzeitheim in Braunsdorf, den Jungen Gemeinden von Rudolstadt, Jena etc. - ich möchte die Begegnungen mit ihm und seiner wertschätzenden, manchmal "bruddeligen", aber trotzdem freundlichen und freundschaftlichen Art, nicht missen!

Er war ein Menschenfreund, der sich aber auch vehement und konsequent gegen die Feinde von Menschlichkeit, Menschenrechten, Freiheit und Demokratie ein - und zur Wehr setze. 

Als im Nov.76, nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann, in Jena eine Verhaftungswelle einsetzte, erfuhr ich dies in Braunsdorf und es machte mir Mut, das Tommy und viele Freunde gegen die Ausbürgerung protestierten. Ich verfasste selbst eine Protestnote gegen die Ausbürgerung von Biermann und wenige Tage später wurde ich ebenfalls, in Eisenach, verhaftet. Im Stasi - Gefängnis Andreasstrasse Erfurt, dachte ich an Tommy und die vielen Freunde und Bekannten, die im Gefängnis saßen und das gab mir das Gefühl, nicht allein zu sein, über Gefängnismauern hinweg Solidarität und Verbundenheit zu spüren. Für eine gemeinsame Sache zu kämpfen und für seine Überzeugungen konsequent einzustehen.

Ich erinnere mich auch gern' an seinen Besuch in meiner Wohnung in Kehl - Kork, in den 80er Jahren. In die Nächte hinein haben wir in der Küche gesessen, bei Bratwurst und Bier, die Gesprächsthemen, das "klönen", aber auch das Lachen gingen uns nie aus.

Auf den Fotos, die ich in meinem Familienalbum gerade nochmal angeschaut habe, sehe ich auch die Sanftheit, Zugewandtheit und Freundlichkeit, die er mir, uns, entgegenbrachte.

Tommy hatte viele Facetten in seinem Charakter und diese lebte er auch aus. Und diese machten auch Tommy aus!

Er war unverwechselbar und von hohem "Wiedererkennungswert"!

Als er im Wendland wohnte, rief ich ihn einmal an und er wusste nicht gleich, wer da am anderen Ende der Leitung ist: " Ach ja, bist Du der da unten aus dem Süden" meinte er mit seiner unverkennbaren Stimme und ich sah ihn förmlich vor mir, wie er sich mit seiner Hand durch seine Locken oder seinen Bart, fuhr, nein, eher "kraulte"! Auch eine unverwechselbare Geste von Tommy.

Ein Menschenfreund, der immer auf dem Boden, an der Basis, geblieben ist, der Auseinandersetzungen nicht auswich und der auch mit seinen Freunden ausgelassen und fröhlich sein konnte.

So werde und möchte ich ihn in Erinnerung behalten.

Tommy, Du bist nicht weg, Du bist in meinem Herzen, meiner Seele und wir sind Stationen unserer Lebenswege gemeinsam gegangen.

Dafür bin ich sehr dankbar und ich danke Dir insbesondere für unsere ganz persönlichen Begegnungen. Mach's gut, wir sehen uns.........

In trauernder Erinnerung, aber froh, das Du gewesen,

Du bleibst.......

und, wenn ich an Deinem Grab stehe, dann ist es sicher in Deinem Sinne, wenn ich die Zeilen aus dem Lied "Emilie" von Klaus Hoffmann, summe:

".....spielt mit Musik und Tanz, wenn ihr mich unter'n Rasen pflügt......"

Mach' ich, lieber Tommy!!!

Pit.

03.07.2020

Thomas Grund

Tommy war einer der wichtigsten freunde in den Jahren 1970 bis 1976 bis er in den Knast kam und rausgeschmissen wurde.

Es waren Bands wie die Scherben, die die Offene Arbeit, mit dem für mich stets wichtigen sozial-politisch-emanzipatorischen Ansatz vertonten, der sich inhaltlich immer der Situation anpasste, wenn auch manchmal verspätet. Ich glaube, nie zuvor und seitdem auch nie wieder, hatte Musik eine derartige gesellschaftliche Kraft. Als ich 1971 in die JG kam war ich ein ziemlich orientierungsloser Typ mit langen Haaren, wenig Bock auf irgendwas Anständiges, aber dafür ordentlichem Bierdurst. Ich fühlte mich unverstanden und ungewollt von der Gesellschaft und schon gar nicht akzeptiert. An meinem ersten Abend gab es dort eine Gesprächsrunde zum Thema: Spießer und lange Haare. Es war ein Gespräch über exakt meine Situation und Position in der Gesellschaft, die mich schwer faszinierte, auch wenn ich noch nicht mitreden konnte. Seit diesem Tag gab es – bis etwa 1990 – keinen offenen Abend mehr ohne mich in der JG. Ich kam dort an, wuchs in die Gruppe hinein und übernahm Verantwortung, weil sie mir übertragen wurde und mich stolz machte. Das prägte mein weiteres Leben. Die offene Arbeit in der Jungen Gemeinde gab mir ein Zuhause, einen Platz, an dem ich bleiben, mich wohlfühlen und entwickeln konnte. Sie war also die Antwort auf eine Frage, die ich ohne diesen Zufall, ohne diesen bärtigen Mann, der uns in der Kneipe ansprach und in die JG lotste, vielleicht nie gestellt hätte:
Wo gehöre ich eigentlich hin?

In diesen offenen Gesprächskreisen lernte ich viel, zum Beispiel, dass eine einzige Disziplin ohne die anderen im richtigen Leben nicht funktionieren kann und, dass Musik und die dazugehörige Kultur wichtige Themen sind, aus denen sich soziales Engagement entwickelt. Plötzlich ging es nicht mehr um mich, sondern um uns. Das war ein Gefühl wie Heimat. Nur ohne das dazugehörige Wissen. Ich war ohnehin nie ein großer Theoretiker, auch wenn meine spätere Ausbildung einen großen Teil dieser Lücke zu schließen vermochte.

Spätestens 1972 wurde mir klar, dass das Land in dem ich lebte, das, was wir heute Sozialarbeit nennen, von Grund auf nötig hatte. Und dazu wollte ich meinen Teil beitragen.
1991 kam dann durch Frau Merkel das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz, welches mir der Amtsleiter mit der Bemerkung in die Hand gab, das sei jetzt unsere neue Bibel. Damit war endlich legitimiert, was wir fast 20 Jahre unter großen Schwierigkeiten und Beargwöhnung schon taten. Mit diesem Gesetz bekam jeder Jugendliche das Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen, gleichberechtigten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

Fortan gab es verschiedene Jugendliche, die mir über den Weg liefen. Die, die mir nicht oder nur zufällig begegneten, das waren die, deren Freizeit ausgefüllt war, die zu Hause, in Sportvereinen, in Bands, vor dem Rechner oder mit den Eltern wussten, was sie taten.

Die Jugendlichen, die mir tatsächlich begegneten, die wussten das nicht. Die waren auf der Suche nach Sinn und Orientierung oder aber hatten bereits selbige aufgegeben und resigniert. Es waren die, die nichts mehr wollten, schon vor der Schule das erste Bier kippten und ihren Frust – woher auch immer er stammte – an anderen ausließen. Jugendliche also, die ihr Ding machten und in Ruhe gelassen werden wollten oder Angebote nur annahmen, um ungestört extrem politische Arbeit machen zu können. Kurzum: Fortan hatte ich mit Jugendlichen zu tun, die mit offener Arbeit nichts am Hut hatten, für die jedoch diese offene Arbeit gedacht war. Damals wie heute galt jedoch: Die Umwelt prägt den Menschen und während wir alles gaben, um zehn Leute aus dem Sumpf zu ziehen, schubste die Gesellschaft in der gleichen Zeit 100 neue hinterher.Leider hat sich das bis heute nicht geändert.

thomas kaktus grund

02.07.2020

Bernd Markowsky

Tommy, Dein Tod hat mich mitgenommen

Wieder stirbt jemand, dem ich verbunden bin, zu früh.

Warum? Leukämie. Warum Leukämie? Ist das ein Würfelspiel Gottes oder unserer Zeit?

Ein Gedanke bohrt sich in meine Gedanken, in mein Gedanken an Dich. Gibt es ein unsichtbares Gift in den von kaltem, bürokratisiertem Haß und bösartiger Nachstellung getränkten Aktenbergen der Stasi, das Dich wie ein Virus ungeschützt umbrachte? Hätte man Dich schützen können? In jedem Fall hast Du diese Last auf Dich genommen, so wie wir Dich kannten, furchtlos, sehenden Auges und vertrauend. Eines Deiner Worte, die Du mir in Jena sagtest, bleibt mir für immer im Gedächtnis: "Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie gerade sind". Eine echte Herausforderung, denn es impliziert, sich nicht zu ihnen hinab zu beugen, um eins mit ihnen zu sein, sondern um sie mitzunehmen auf einen Weg, der sich abzeichnet und Schritt für Schritt öffnet. Es impliziert, sich nicht ihnen gegenüber zu erhöhen. Darin warst Du ein Meister. Geduldig ungeduldig, unverzagt. Jeder, der Dich kannte, konnte Dir vertrauen.

Auf Wiedersehen, Tommy

Bernd Markowsky

30.06.2020

Roland Jahn

Tommy, wo anfangen und wo enden, wenn ich an dich denke? Seit Tagen kreisen meine Gedanken um dich, um so vieles, was mit dir und deinem Namen verbunden ist. Und gerade das, macht es schwer Worte zu finden, für meine Trauer und für das, was du für mich und für viele andere bedeutest. Ich sehe dich vor mir, damals 1971, auf der Empore der Friedenskirche in Jena. An diesem Abend wurdest du vorgestellt als der neue Stadtjugendwart der evangelischen Gemeinde. Schon mit deinem Aussehen, mit deiner "klugen" Brille und deinem "eigenwilligen" Vollbart hast Du mich, den damals 18- Jährigen, beeindruckt. Doch viel wichtiger war: mit deinem politischen Verstand, deiner Offenheit und deiner Zuwendung hast du mir und anderen Freunden in den folgenden Jahren Halt und Orientierung gegeben, uns geholfen im Alltag zurechtzufinden. Opposition hat Spaß gemacht, so hast du später in Interviews über deine Zeit in Jena gesprochen. Ja, das hat dich ausgemacht, dass du bei aller Ernsthaftigkeit deiner politischen Überlegungen Lebensfreude ausgestrahlt hast. Die vertrauten Gespräche mit dir, die geselligen Abende in der Jungen Gemeinde, die Wanderungen mit all unseren Freunden in den Jenaer Bergen, und du immer mittendrin. Das bleibt in lebendiger Erinnerung.

Und selbst nach deiner Verhaftung und Ausbürgerung aus der DDR wurdest Du nicht müde, Helfer in der Not für deine alten Freunde in Jena zu sein.

Während der Verhaftungswelle 1982 in Jena, hast du von West-Berlin aus für Öffentlichkeit und internationale Proteste gesorgt. Und das mit Erfolg, denn die DDR-Oberen mussten einlenken und die Inhaftierten aus der Haft entlassen. Danke Tommy dafür ganz besonders. Du hast es ja selbst erfahren, jeder Tag im Knast ist einer zu viel.

Tommy, ich sehe dich noch vor mir, wie du nach dem Mauerfall zurückkehrst in den Stasi-Knast in Gera, bewaffnet mit einem Diktiergerät. Wie du den Offizieren gegenübertrittst, ohne Übereifer, aber klar und deutlich deine Fragen stellst.  "Sind Sie noch bewaffnet?", mit deiner Nachfrage und dem bejahenden Eingeständnis des noch amtierenden Stasi-Chefs vor laufender Fernsehkamera hast du Bewegung ausgelöst, am Runden Tisch in Berlin und bei den Menschen in Gera. Wenige Tage später wurde die Stasi-Bezirksverwaltung besetzt und die Waffenkammern vom Bürgerkomitee gesichert. Aufklären, über das, was geschah, besonnen, gründlich und genau, das hat dich immer ausgezeichnet. Als Forscher, als Wissenschaftler, als Autor hast du uns in einer Vielzahl an Publikationen bleibende Erkenntnisse mitgegeben.

Tommy, du wirst fehlen, mir und vielen anderen. Und dennoch, nicht nur deine Bücher werden bleiben, sondern gerade die vielen Erlebnisse und Erfahrungen mit dir ganz persönlich. Sie waren damals Freude, Hilfe und Ermutigung und durch die Erinnerung daran, werden sie dies auch in Zukunft sein.

29.06.2020

Sabine Auerbach

Sabine Auerbach , 29. Juni 2020

Thomas Auerbach, Diakon, Bürgerrechtler und Autor wichtiger Bücher über die Verbrechen des Staatssicherheitsdienstes der DDR ist am 4. Juni 2020 nach jahrelanger schwerer Krankheit von uns gegangen. Sein Leben war von Beginn an mit den Folgen des Krieges konfrontiert, mit den Ungerechtigkeiten des DDR-Regimes der 50er Jahre, mit den direkten Auseinandersetzungen des Machtapparates in den 60er und 70er Jahren. Schließlich hob er die Verbrechen des Staatssicherheitsdienstes in jahrelanger, oft zermürbender, auch nicht ungefährlicher Forschungsarbeit aus dem Dunkel ans Licht.
Thomas Auerbach, Jahrgang 47, hat gern in den Trümmern seiner Heimatstadt Leipzig gespielt. Das Herumtoben an frischer Luft und interessanter Ruinenlandschaft konnte jedoch den Hunger nur für kurze Zeit überdecken. Der Mangel an gesunder Nahrung in der Nachkriegszeit hat ihn schon früh gezeichnet. Die zahlreichen Krankenhausaufenthalte und Ferienlager, die der Erholung dienen sollten, hat er gehasst. Er litt vor allem an Heimweh. Obwohl er in der Familie seine ganze Kindheit hindurch körperlicher Gewalt ausgesetzt war: die schlagende Mutter, der weniger stark schlagende Vater, das Verharren in dunklen Kammern ohne Essen und Trinken. Der Verdruss der Eltern über den Krieg und seine Folgen, über die Enteignungen von Kino und Häusern der Familie durch die sozialistischen Machthaber wird auf den Kleinsten und Schwächsten der Familie abgeladen. Gibt jedoch auch eine Richtung in seinem Leben vor: keine Zusammenarbeit mit den Machthabern. Das Weggehen seiner Geschwister in den Westen, der Mauerbau verstärken seine Haltung. Wehrdienstverweigerung, Ausbildung zum Diakon, kreative Arbeit mit Jugendlichen, die Halt suchen und das System ablehnen wie er selbst. Theateraufführungen, Musik, Literatur im Schutz der Kirche. 76, mit dem Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung haben die Mächtigen der DDR endlich einen Vorwand, ihn zu verhaften. Zehn Monate Verhöre, Drohungen Demütigungen. Schließlich Abschiebung gegen seinen Willen nach West-Berlin. Er arbeitet weiter mit Jugendlichen als Diakon und Religionslehrer, brennt für die Wiedervereinigung, arbeitet am Gesamtdeutschen Institut, unterstützt mit Jürgen Fuchs und anderen die Friedensbewegung in Osten. Nach dem Fall der Mauer besetzt er Stasizentralen, seit 93 arbeitet er in der "Gauckbehörde."
Als 1999 Jürgen Fuchs stirbt, wird ein letztes Gespräch mit seinem Weggefährten und Freund für Thomas Auerbach ausschlaggebend, sich mit den Umständen der Erkrankung  seines Freundes auseinanderzusetzen. Thomas Auerbach arbeitet sich  tief und unbeirrbar in den Umgang des Staatssicherheitsdienstes mit radioaktiven Material ein. Findet Erschreckendes. Kann jedoch nicht "Juristisch Verwertbares" aus der Schreckenskammer heben. Fortab befürchtet er selbst, an Leukämie zu erkranken.
2014, als er an einer Erweiterung seiner Schrift über die geplanten Isolierungslager des MfS arbeitet, erreicht ihn die Diagnose Chronische Leukämie. Ein jahrelanger Kampf gegen die Krankheit und ihre zahlreichen Folgen beginnt. Thomas Auerbach stirbt am 4. Juni 2020 an Lungenversagen.
Seine beiden Werke "Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front: Terror- und Sabotagevorbereitungen des MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland" sowie "Vorbereitung auf den Tag X. Die geplanten Isolierungslager des MfS" sind heute Standardwerke der Behörde.

Er war der sanfteste Mensch, den ich kannte.
Und liebte.
Sabine Auerbach -  Lebens- und Weggefährtin

29.06.2020

Christian Booß

Ad Auerbach

Ich habe zwei Filme mit ihm gemacht, zu Isolierungslagern und zu Stasi-Einsatzkräften hinter den Linien. Nach dem ersten war selbst Helmut Kohl von der Recherche so beeindruckt, dass er bei Gauck anrief. Was bei dem Verhältnis dieser beiden zueinander schon was heißt. Beim zweiten Film haben wir immerhin 10 Jahre nach dem Ende der Stasi, ein Lager mit Original-Stechpuppen und ähnlichen Nahkampfutensilien im brandenburgischen Wartin ausgehoben.

Thomas konnte sehr hartnäckig, um nicht zu sagen stur, sein, wenn es ihm um die Sache ging. Aber man konnte mit ihm auch ein ernsthaftes Thema bearbeiten und trotzdem  viel Spaß miteinander haben. Er war auch beim BStU ein sehr guter Kollege. Schade....

28.06.2020

Lutz Rathenow

Damals erschien mir alles selbstverständlich in Jena und ein wenig provinziell. Aber dafür, dass es in dieser kleinen Stadt gar nicht provinziell zuging, sorgten Menschen wie Thomas Auerbach. Unser "Arbeitskreis Literatur und Lyrik" wurde gerade in den Verbotsmodus gefahren. Versuche 1975 einen Jugendklub zu gründen (übrigens auch mit Matthias Domaschk) scheiterten nach wenigen Gesprächen, ein Theaterklub klappte auch nicht, Bernd Markowsky und Gerd Lehmann wollten was mit Kabarett machen - kurz bevor sie Hausverbot am Kulturhaus Neulobeda bekamen. Und in der Situation kam für mich  Thomas Auerbach ins Spiel. Ich hatte mit Kirche nicht allzuviel im Sinn, doch Thomas Auerbach war der erste, der einfach Lust machte sich auf diese Junge Gemeinde, die "Offene Jugendarbeit" einzulassen. Die vorgestellte DDR und die punktuelle praktisch mögliche differierten zusehends in erfreulicher Weise.

Und noch vor den Lesungen oder anderen auch politischen Kontakten sorgte er für etwas, das nicht nur übliche Wirkungsnetzwerke entstehen ließ. Das aufführungsverbotene (aber einmal in einer DDR-Zeitschrift gedruckte Stück von Rainer Kirsch "Heinrich Schlaghands Höllenfahrt") führte die JG in einer szenischen Lesung auf. Das zeigte neben den politischen Mut halt auch Interesse an etwas, das sogar den Autor beeindruckte. An Literatur,  wenn sie eigensinnig schien. Rainer Kirsch kam zur Erstlesung und sprach noch in den neunziger Jahren in einem Interview davon. Es war für ihn das erste Erlebnis in so einem nicht vorwiegend intellektuell künstlerisch affinen Kreis junger Außenseiter, die mehr Interesse an seinem Text zeigten als die halbmutigen Insidertheater. Ich glaube, er hatte mich dann auch noch nach den Leuten gefragt, was sie antreibt und was so einer wie Auerbach eigentlich bedeutet in einer DDR und Kirsch erinnerte sich plötzlich an seinen unfreiwilligen Abgang von der Jenaer Universität.

Dann in Westberlin bin ich Thomas Auerbach für seinen Artikel in der "Frankfurter Rundschau" im November 1980 sehr dankbar: Nach der und zur Verhaftung von Frank-Wolf Matthies, Thomas Erwin und mir. Diese im Hintergrund von Jürgen Fuchs koordinierte Solidarität war wirksam, verkürzte Haftzeiten und installierte eine neue Qualität medialer Anteilnahme. Menschen wie Thomas Auerbach trugen auch ganz praktisch dazu bei, die Resonanzräume für Renitenz aus dem DDR-Osten (der aus westberliner Sicht ja eher im Westen war) zu erweitern.

Viel muss man über seine außerordentlich verdienstvolle Arbeit bei der BStU sagen. Da redete ich mehr über ihn als mit ihm, den Respekt bestätigen andere auf dieser Homepage. Nichts vom Hörensagen soll erzählt sein, nur noch mein letzte Begegnung mit Thomas Auerbach: Es war eine Geburtstagsfeier zweier Bürgerrechtler in Berlin kurz nach dem Antritt meiner Arbeit in Dresden.  Thomas saß am Tisch und schimpfte auf einen Bundesbeauftragten. Ich setzte mich neben ihn und wir diskutierten eine Weile, seinen engagiert mürrischen Ton habe ich noch im Ohr. Ich versuchte ihm zu widersprechen. Repräsentationslust oder Faktenneugier, das ist immer wieder mal die Frage. Was soll ich rückblickend sagen? Er hatte wohl  recht, Entschuldige bitte, ich nehme meine Einwände zurück.

Lutz Rathenow

24.06.2020

Christoph Links

Was nur wenige wissen: Thomas Auerbach war ein ausgesprochener Erfolgsautor. Innerhalb der 20-bändigen BStU-Forschungsreihe „Analyse und Dokumente“ veröffentlichte er 1999 den Band „Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front. Terror- und Sabotagevorbereitungen des MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland“. Wie kein anderes Werk dieser Serie erreichte es sechs Auflagen und ist als E-Book bis heute gefragt. Auerbach beschreibt darin eine besondere Diensteinheit des Ministeriums für Staatssicherheit, deren Aufgabe es war, bei Bedarf gegen Objekte und Funktionsträger der Bundesrepublik mit Terrorhandlungen vorzugehen. Ein eigens dafür gebildetes Agentennetz spähte die vorgesehenen Ziele im »Operationsgebiet« aus, wo im Ernstfall auch lokale »patriotische Kräfte« zur Unterstützung der Kommandos aktiv werden sollten. Die Palette der geplanten Aktionen reichte von Sprengstoffanschlägen über Geiselnahmen und der Vergiftung von Trinkwasser bis hin zum gezielten Mord. Zum Glück blieb es bis 1989 nur bei Planungen und Übungen dafür.

Für Thomas Auerbach, der nach seiner Inhaftierung 1977 in den Westen abgeschoben worden war, stellte die Entdeckung der entsprechenden Dokumente im BStU-Archiv eine besondere Herausforderung dar. Daher wollte er sie mit einer ausführlichen Einleitung umfassend dokumentieren. Dass der von ihm geplante Band dann aber deutlich schmaler wurde als gedacht, lag am Einspruch der Sicherheitsbehörden, denn die detaillierten Anschlagspläne der Stasi hätten auch in der Gegenwart noch von Terroristen missbraucht werden können. Dem Werk hat es keinen Abbruch getan, wie der Verkaufserfolg in den folgenden 15 Jahren zeigen sollte.

Wie gedenken eines wichtigen Autors, dem unser großer Respekt gebührt.


Christoph Links

16.06.2020

Corinna Kalkreuth

Es waren nur 2 1/2 Jahre in Görslow. Es waren gute Jahre, intensive Jahre.  Er nannte sie, seine besten in der Behörde. Er brachte frischen Wind an den Schweriner See und lautere Töne von dort nach Berlin. Er forderte und förderte und er vertraute. Er stand immer für uns ein. Keiner konnte so herrlich fluchen und im nächsten Moment laut lachen. Nein, langweilig war es keine Minute. Danke für diese gemeinsame Zeit. Danke für das Vertrauen in ungeahnte Fähigkeiten. Ohne Dich, lieber Thomas Auerbach, wäre ich diesen Weg, meinen Weg, wahrscheinlich nicht so gegangen. Ich werde ihn weiter gehen. Auch für Dich.  
Corinna Kalkreuth

13.06.2020

Wolf Biermann

Was Wunder!  für mich ist dieser Tote lebendiger als manche, die noch rumlaufen.  Das überkreuzt mein Schicksal mit dem Lebensweg des Thomas Auerbach: er protestierte tapfer gegen die Biermann-Ausbürgerung.  Er sammelte im November 1976 in Jena unter den Studenten und jungen Arbeitern im VEB Carl-Zeiss, bei seinen Freunden  in der Christlichen Gemeinde Unterschriften, zugunsten der Erklärung der 13  hochkarätigen Schriftsteller in Ostberlin. 
Deren „Petition“ war ja keineswegs  - im Wortsinn -  eine „Bittschrift“ an das Politbüro der SED, sondern war eine unerhörte Ketzerei gegen die Diktatur.  Es war das erste (und leider auch das letzte)  Mal in der DDR-Geschichte, daß etablierte Schriftsteller ihre politischen Ängste und Meinungsverschiedenheiten, auch ihren kollegialen Konkurrenz-Neid überwanden. So kam diese gemeinsame Aktion gegen die SED-Parteiführung wie ein Wunder zustande. 
Also wurde der junge Diakon Auerbach von Mielkes Schergen in Thüringen aus dem Verkehr gezogen. Nach zehn Monaten U-Haft verkaufte der MfS-Menschengroßhändler Rechtsanwalt Wolfgang Vogel den wahrhaft protestantischen Protestanten in den Westen - natürlich für das übliche Kopfgeld.  
Was für ein fatales Mißverhältnis: Unsere Schicksale sind offensichtlich eng miteinander verbunden, und dennoch kannten wir einander kaum. Immerhin hatten wir gemeinsam in jenen Jahren einen engen Freund: Jürgen Fuchs. Also  denke ich: wie jammerschade, wie lebensdumm sogar! Man kann also nicht nur falsche Feinde finden, sondern auch  manchen echten Freund verpassen. 
Ich werde nach der Corona-Seuche Lilo Fuchs am Tempelhofer Damm besuchen: Erzähl´ mir bitte was von diesem tapferen Christenmenschen. Wer sonst? Du und Jürgen, Ihr habt den Thomas Auerbach doch im widerständigen Jena und dann in Westberlin gekannt !

Wolf Biermann am, 13. Juni 2020 in Hamburg-Altona

11.06.2020

Helge Heidemeyer

Als Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung habe ich Thomas Auerbach leider nicht mehr kennengelernt. Aber seine Werke wirken und sind Klassiker geworden. Immer wieder haben Kollegen und ich ihn im Ruhestand animiert, seine so häufig nachgefragten Studien zu den Isolierungslagern zu einem umfassenden Buch auszubauen. Das hat er leider nicht mehr geschafft. Erlebt habe ich ihn als einen kantigen, aber gradlinigen und unbestechlichen Ratgeber, der auch unbequeme Wahrheiten äußerte – unbequem für sich selbst und für sein Gegenüber. Das war manchmal schwierig, aber immer produktiv. Er hat meinen vollen Respekt für seine Lebensleistung.

10.06.2020

Gerold Hildebrand

Tommy, mein Löwe, farewell

Als ich im Herbst 1976 nach Jena kam, fand ich zunächst Unterschlupf in dem besetzten Hinterhaus Gorki-Straße 1, das in der Szene als „Kommune 1“ firmierte. Ganz oben wohnte Marcella Kunze mit Wolli, dort hing das tschechische Fähnchen aus dem Fenster, das an 1968 gemahnte. In den anderen Etagen hatten Willy Krüger, Bernd Markowsky und Thea Lewek ihre Zimmer. Und Thomas Auerbach. Eine Toilette gab es nur im Vorderhaus und morgens weckte Tommy erst mal alle, indem er ein paar Verse verbotener Biermann-Lieder über den Hof schmetterte: „Kampfmorgen“ hieß das.

Ich fühlte mich sofort angenommen, vor allem von Tommy. Er nahm mich mit in die Junge Gemeinde, die JG-Stadtmitte und den Lesekreis und wir reisten gleich mal nach Krakau. Tommy befürchtete, dass er noch einberufen werden könne – das hätte Knast bedeutet. Er hatte ja 1965 schon unmissverständlich seine Totalverweigerung kundgetan. Andererseits hatte Tommy noch den Plan, Wolf Biermann nach Jena zu holen, in die JG zu einem Auftritt. Es kam alles etwas anders. Biermann wurde ausgebürgert und in den Stasi-Knast kam Tommy dennoch, weil er sofort eine Unterschriftensammlung in der JG gegen die Ausbürgerung organisierte – und den SED-Genossen ein Dorn im Auge war ob seiner erfolgreichen aufrührerischen Jugendarbeit. Woran merkt man spätestens, dass Kommunisten an der Macht sind? Wenn eine Unterschriftensammlung als Verbrechen gewertet wird. Der Haftbefehl verdeutlicht dies: https://www.stasi-mediathek.de/medien/haftbefehl-gegen-thomas-auerbach/blatt/13/

Und es gab in Krakau die kleinen Käse aus dem Bieszczady - geräuchert, etwa eiförmig gepresst und gemustert. Später einmal erzählte mir Tommy, dass er von denen immer geträumt hatte im Knast. Da litt er schon etwas an Demenz, aber das erinnerte er.

Thomas Auerbach war der Löwe unter den Oppositionellen in der späten DDR. Da war er ganz von seinem Sternzeichen vorgeprägt, immer etwas majestätisch, voranstürmend, auch wenn da tausend ideologisierte Hyänen und stasiperfide Fallgruben lauerten, Drachen mit tausend Köpfen - und er konnte sich so herrlich echauffieren, einen heiligen Zorn zeigen, der aber immer bald in eine humorvolle Tirade überging, wenn Ungerechtigkeiten und diktatorische Zumutungen nervten.

Und so einen Löwen sperrte man nun in den Stasi-Käfig. Als er mir später einmal erzählte, wie er in der Zelle hörte wie Mithäftling Bernd Markowsky die Treppe runtergeprügelt wurde und immer wieder dabei schrie: „Es lebe der Sozialismus!“, da ging einem noch mal auf, wie wir so drauf waren damals. Ja, damals verstanden sich fast alle in der Szene als „demokratische Sozialisten“ – im Sinne von Prag 1968. Ein Phantasma. Langsam erst setzte sich der Erkenntnisprozess durch, dass das ein Widerspruch in sich ist, die Quadratur des Frühstückeis: freiheitliche Demokratie mit einer offenen Gesellschaft und andererseits marxistischer (zumal leninistischer) Sozialismus. Doch Demokratie erfuhren nur die in die DDR Hineingeborenen und dann von dort Weggetriebenen erst im Westen. Tommy war im Herzen immer schon ein klar demokratischer, auch christlich geprägter Antikommunist. Was jetzt nichts mit der DDR-Amtskirche zu tun hatte, denn die ließ ihren Bruder Diakon im Stich als es darauf angekommen wäre, nach Brüsewitz und so weiter. Schlimmer noch: es gab im Prinzip nur den Braunsdorfer Pfarrer Walter Schilling, ein enger Freund und Mitstreiter von Tommy.

Tommy hinterließ nach seiner Inhaftierung mit eingeschlossener Zwangsausbürgerung ein Jahr danach große, viel zu große Fußstapfen, wie Löwenpranken eben so sind. Tommy hatte aus der JG das gemacht, was man im Westen als alternatives selbstverwaltetes Jugendzentrum bezeichnet hätte, was aber unter der SED-Herrschaft noch mal eine ganz andere Nummer war. Es gab regelmäßige Diskussionsabende, eine Lesebühne, eine JG-Band „Peaceful Death“, die aber bald schon aufgerieben wurde: Haft (Liedermacher und Autor Michael „Pastor“ Brose) und Selbstmord von „Geige“. Tommy fand ihn kurz danach. Er hat das dann später aufgeschrieben, im Westen, im Erinnerungsbuch der 76er „ddr-konkret“.

Aber wir machten weiter in der JG: Offene Arbeit. Bei einem späteren Treffen in den Masuren, bot Tommy an: Wenn Du es nicht mehr aushältst und raus aus dem Land willst, unterstützen wir Dich, aber das musst Du selbst entscheiden. Ich blieb, auch weil ich immer wieder Gleichgesinnte fand und mir gerade vor dem Hintergrund der Zwangsausbürgerungen der 76er sagte: So einfach lassen wir uns hier nicht vertreiben. Aber so ein Unterstützungsangebot gab existentielle Sicherheit für das Austesten der Grenzen und die Suche nach Freiräumen. Ich wusste: So einfach wie die all die Jahrzehnte zuvor als Widerspruchleistende Eingebuchteten würde ich nicht vergessen im Knast verschwinden. Danke, mein Lieber!

Dein weiterer Lebensweg muss hier nicht referiert werden, das steht im Internet und in Büchern. Nur so viel: Du warst auch im Westen einer, der die Neuankömmlinge aus der Ostzone immer unterstützte, ganz menschlich persönlich wie gewohnt, und hast eben auch die im Sowjetreich Zurückgebliebenen nicht vergessen. Was sehr, sehr hilfreich war. Sehnsüchtig standst Du manchmal auf dem Ausguck, dem Podest in der Bernauer Straße in West-Berlin und schautest die ganze Wolliner runter auf das Zion-Gemeindehaus in der Griebenowstraße wo Deine zwei Kinder Anne und Axel lebten (und die UB im Keller ihr Domizil hatte). Und konntest nicht hin.

Ende 1989 standest du, Tommy, sofort auf der Matte und beteiligtest Dich an den Stasi-Auflösungen. In DIE BEHÖRDE BStU wollte man Dich als renitenten Bürgerrechtler erst gar nicht aufnehmen. Hubertus Knabe sagt, dass er sich dann für Deine Einstellung eingesetzt hat und es hat ja 1993 auch geklappt. Ich verweise hier nur mal auf zwei Meilensteine Deiner Arbeit: Projektbericht »Strahlen« 

Und das Buch über die geplanten Stasi-Lager: „Vorbereitungen auf den Tag X. Die geplanten Isolierungslager des MfS.“ (weitere Werke sind hier zu finden: https://portal.dnb.de/opac.htm?method=showFullRecord&currentResultId=%22121036472%22%26any&currentPosition=15 ).

Deine Türen mussten immer offenstehen, ob in Deinem BStU-Büro in Berlin oder als Außenstellenleiter in Schwerin-Görslow am See, so auch nachts. Nach der Haft konntest Du einfach keine geschlossenen Räume mehr ertragen. Aber in ganz anderer Weise standen „Deine Türen“ immer offen für andere.

Ja, und die schweren Jahre am Ende, aber dennoch: Kochen für Freunde, ein guter Wein und am Stadtrand von Berlin im Grünen leben mit Deiner lieb sorgenden Partnerin Sabine, das war doch auch verdiente Genugtuung für all die Widerfahrnisse. Und vor allem aber und das hat mit Deiner Lebenshaltung zu tun: Etwas besser ist es, wenn man die Krankheit hat, als dass die Krankheit einen hat. „Ach, mir geht’s so weit gut“, so schobst Du oft die Krankheiten, die Dich in den letzten Jahren zunehmend heimsuchten beiseite. Bloß nicht groß drüber reden und rumklagen oder gar schwächeln.

Dein enger Freund Michael „Pastor“ Brose, der ebenfalls unter der SED verfolgte Liedermacher aus Weimar, nannte Dich manchmal „Auerbächle“. Das „Auerbächle“ ist nun versiegt und hat einen bewegten, wilden, mitreißenden, geschichtsträchtigen Lebensstrom hinter sich gebracht. Machs gut, machs nach, machs besser – ach Quatsch, lass es gut sein: Du hast sehr vieles gut gemacht, Tommy, und das werden wir Dir nie vergessen.

Dein Hilli

09.06.2020

Reinhard Klingenberg

Leb' wohl für heut! – Des Abends letztes Gold
Strömt durch die Scheiben; über mir Geläute!
Die Kirchenfahnen flattern, halb entrollt!

(Freiligrath, Ferdinand, Ein Flecken am Rheine)

Tommy, lieber Freund, Du warst mir immer ein wichtiger Begleiter und Mitstreiter in meinem Leben. In den 1970ern haben sich unsere Wege zum ersten Mal in Jena gekreuzt. Als junger unerfahrener Student habe ich auch durch Dich in der Jungen Gemeinde meine Freunde gefunden. Es waren nicht nur die Zeiten des politischen Widerstandes, sondern auch die persönlichen Kontakte und Freundschaften, die mein weiteres Leben bestimmt haben. Du bist für mich immer ein Vorbild und Lehrmeister gewesen. Der Durst nach Freiheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit hat unser Handeln bestimmt, in dieser engen spießigen Welt des „realen Sozialismus“. Und auch in den Jahren Deiner Haft haben wir nicht aufgegeben. Wir wollten ein freies Europa ohne Grenzen und atomarer Bedrohung. Dein Engagement und geistiger Beistand haben mir immer Kraft gegeben. Es hat sich auch gelohnt- die Mauer ist weg. Das war auch Dein Verdienst. Ich denke auch immer an unsere persönlichen Treffen zurück, wo wir gemeinsam gekocht haben und gute Gespräche hatten. Die letzten Stunden Deines Lebens habe ich Dich begleitet, das war nicht leicht für mich und auch nicht leicht für Deine Frau und Deine Kinder. Und dennoch, ich weiß jetzt, Du bist gut aufgehoben.

Mach´s gut mein Lieber, Gott segne Dich!

Grüße

Reinhard(Früchtchen)

08.06.2020

Ilko-Sascha Kowalczuk

Ich habe viele Jahre mit Tommy eng zusammengearbeitet. Er machte es seiner Umwelt nicht leicht, weil er es sich nicht leicht machte. Es war nie langweilig, er war nie langweilig. So gut motzen wie er konnte kaum jemand, er dachte gar nicht daran, sich irgendwie zu verbiegen. Das war ganz und gar herrlich in einer Behörde, die solche Töne, solchen Habitus, solche Geradlinigkeit nicht vorsah. Tommy und Bernd Eisenfeld (1941-2010) bildeten den Kern einer Arbeitsgruppe, die uns allen, die wir dazugehörten, Tag für Tag verdeutlichten, wofür wir das taten, uns mit den Hinterlassenschaften der kommunistischen Diktatur zu befassen. Es gab eine Aufgabe, die uns niemand vorzuschreiben brauchte, kein Gesetz und kein Beauftragter. Tommy stand für die Aufgabe mit seiner ganzen Biographie, mit seinem ganzen Wesen. Er war ganz oft der traurigste Lustige und der lustigste Traurige. Ich hätte meinem Freund so gewünscht, dass er die Leichtigkeit des Seins hätte ausleben können, dass er die Kommunisten hätte hinter sich lassen können. Machs gut, lieber Tommy, grüße Bernd und alle die anderen, wir machen weiter, nicht zuletzt für Dich! Ilko

08.06.2020

Joachim Goertz

Prag 21. August 1978: eine Handvoll junge Leute aus Naumburg an  der Saale spazieren am Abend auf dem Wenzelsring - ohne Transparente und Sprechchöre, sogar mit Abstand. Trotzdem oder nur deswegen werden sie zugeführt, einer erst Wochen später nach Ostberlin überführt. Nicht erst die erste Erfahrung, die diese gerade über 20-jährigen in der DDR politisiert hat. 2 Jahre zuvor 1976, das Fanal der Selbstverbrennung von Pfarrer Brüsewitz und die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Junge und Ältere protestieren öffentlich, nicht nur Prominente. In Jena organisiert auch der Jugenddiakon Thomas Auerbach den Protest vornehmlich junger Leute, die sich gegen den Unrechtsstaat wehren. Auch mit seinem Namen wird der Aufbruch einer Generation verbunden sein, die sich mit dem Aufstand einer Partei, eines Staates gegen das eigene Volk nicht mehr abfinden wollte. Die sich auch nicht damit abfinden wollte, dass nach Deutschland West oder Berlin West Abgeschobene nicht mehr auf einem Kommunikations-und Solidaritätszusammenhang gegen Freiheitsberaubung mit den Zurückgebliebenen bestehen mussten. Thomas Auerbach hat diesen Zusammenhang bis zuletzt gelebt.

Friede seiner Seele und Tröstung seinen Angehörigen und Lebensbegleitern.

Joachim Goertz, ein Thüringer in Berlin

07.06.2020

Angelika Schön

Für Tommi

Mit dem Fuß aufstampfen und energisch die Faust durch die Luft rudern und sich dabei um sich selber drehen – Ärger und Wut auf was Bestimmtes mit ner scharfen Ansage kamen dann heraus, oft mit eigenen Wortschöpfungen: "Gruselgraps, Speckfresse" etwas schnoddrig gesprochen. "Weiß der Geyer" wieso Frauen Schwestern Partnerinnen dich fast sofort verstanden (schneller als die Männer) bei solchen Auftritten und doch wieder übersehen wurden? Vielleicht stritten sich dann feurige Jesusliebe im Herzen mit nem trumpfenden Mannesselbstbild in den Knochen? "Na ja, du, ich seh das aber anders..."- Einhaken in Diskussionen und zuweilen röhrend sie zu Sachdebatten machen, sodass bald was raus kommt dabei! Und sie verlassen, wenn "is doch alles Quatsch hier". Bratwurst und gut essen, Bier und fein trinken, die Kinder ganz wichtig finden, andrerseits höchst allergisch jede Amtsgeilheit wittern. Tommi, auf dich als Kumpel und Christ konnte mensch sich immer verlassen! Aber dich haben etliche Kirchenleute verlassen, niederträchtig in den Arsch getreten, einen Riss in die Seele gebohrt, den viele fühlen können die jetzt um dich trauern, und am besten beschrieben von Walter Schilling: Die "Bearbeitung" der Landeskirche Thüringen durch das MfS. In: Vollnhals, Clemens (Hrsg.). Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicherheit. Berlin 1. Auflage 1996. S. 232-233: Als in Jena 1976 sieben junge Leute aus der Jungen Gemeinde Stadtmitte und ihr Diakon Thomas Auerbach verhaftet wurden, unterblieb jede Intervention des Landeskirchenrates. Denn damals hatte das MfS so viele Wege zum Einfluss auf thüringer Kirchenleitungen gebahnt. "Daß ausgerechnet Oberkirchenrat Schäfer (IM "Gerstenberger") beauftragt wurde, den inhaftierten Jugendwart Auerbach in der Untersuchungshaftanstalt zu besuchen, um damit zu demonstrieren, daß er der Kirchenleitung doch nicht ganz gleichgültig sei, ist schon zynisch zu nennen." Feier schön mit Walter und brüllt euch wieder öfter an. Danke! Angelika Schön

07.06.2020

Hannes Schwenger

Wir wollten die Jenaer Freunde, deren Freilassung wir 1977 von der DDR erwirkt hatten, für befreit halten. Welch ein Irrtum! Manche, wie Jürgen Fuchs und Thomas Auerbach, brauchten dazu ihr ganzes weiteres Leben. Was sie für die Aufklärung und Bewältigung des erlebten und erlittenen Unrechts leisteten, taten sie nicht nur für sich. Auch wir haben dafür zu danken. Adieu, Tommy! Hannes Schwenger

07.06.2020

Michael Kleim

Thomas Auerbach,

eigene Wege waren dein Ziel,

hast dabei mitgenommen viele gute Weggefährten.

Ermutigt hast du uns, eigene Schritte zu wagen.

Nun hab Du den Mut für den Himmel. Über uns. In uns.

Michael Kleim