Predigt von Ehrhardt Neubert zu Beerdigung von Thomas Auerbach

 

Liebe leidtragende Angehörige, liebe trauernde Freunde von Thomas Auerbach.

In dieser Stunde des Abschiedes und Gedenkens fragen wir auch nach den Wurzeln seines Lebens und Wirkens.

Wir haben heute schon viel aus seiner Biografie und zu seinen Einstellungen und Haltungen gehört. Ich möchte deswegen auf seine christliche Existenz zurückschauen. Dazu ein Wort aus der Bibel:

Du sollst lieben den Herrn deinen Gott aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst. (Lukas 10,27)

Gott lieben und den Menschen lieben - gehört zu den Kernaussagen unseres Glaubens. Thomas hat sich schon als Jugendlicher in Leipzig während seiner Ausbildung als Elektriker in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert und auch, wie viele junge Christen, den Wehrdienst verweigert. 1967 bis 1970 wurde er als Diakon im Eisenacher Johann-Falk-Haus ausgebildet. 1971 wurde er in Jena Stadtjugendwart. In der Thüringer Kirche wurde er bald bekannt. Ich bin sehr froh und dankbar, dass die „Schwestern- und Brüderschaft Johannes Falk" an Thomas gedacht hat und ihn mit einem Kranz ehrt.

Ich erinnere mich als Studentenpfarrer in Weimar, dass ich unbedingt die neuen Formen der offenen kirchlichen Jugendarbeit kennen lernen wollte. In Weimar waren wir viel braver als im benachbarten Jena, wo sich eine unruhige und kritische Jugend zu Wort meldete. 1974 habe ich Thomas und Walter Schilling in die Studentengemeinde eingeladen. Thomas erzählte begeistert, frisch und munter, was sich in der Jenaer „Jungen Gemeinde Stadtmitte" abspielte. Er endete mit dem Satz - so ungefähr jedenfalls: „Ich finde es toll. Die Leute oder .die Kunden' reden jetzt dauernd von Jesus." Darauf reagiert sein väterlicher Freund Walter Schilling mit seiner trockenen aufrichtigen Art: „Thomas, übertreibe jetzt nicht!" Thomas gefiel das nicht.

Aber, hatte er wirklich übertrieben? Nein, denke ich. Denn Thomas hörte den jungen Leuten zu. Er hörte ihre Sehnsüchte nach Anerkennung, nach Menschenrechten, nach einem Stück Freiheit für ihre Lebensgestaltung. Er erlebte, wie sie den Zwängen und Disziplinierungen entgehen wollten. Er sah ihren Unmut über die verlogene Ideologie. Und er erlebte, dass diese Jugend eine Heimat suchte. In all dem hörte er die Stimme Jesu. Er übersetzte das Klagen und die Hoffnungen in die Sprache Jesu. Und deswegen hörte er etwas hinein: Du sollst Gott lieben und den Menschen lieben.

Und das hatte er als evangelischer Diakon mitgebracht aus seiner Ausbildung und auch aus seinem Lernen bei Walter Schilling.

Für die Eisenacher Jugenddiakone gab es in ihrer Ausbildung die überragende Gestalt von Johannes Daniel Falk, in dessen Geist sie gebildet wurden. Falk galt in seiner Zeit als „Pädagoge verwilderter Kinder". Es war die Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon, Anfang des 19. Jahrhunderts. Kinder und Jugendliche gehörten zu den Opfern. Sie streunten verwaist und oft hungernd durch das zerstörte Land. Falk sammelte sie und wurde der Vater der sozialen Jugenddiakonie. Er hatte die „Gesellschaft der Freunde in der Not" gegründet, die diese Arbeit unterstützten.

Er entwickelte großherzige pädagogische Konzepte, die den Jugendlichen neben Brot und Wohnung wieder ihre Würde zurückgaben. Und das war eben auch das Anliegen von Thomas Auerbach in seiner Jugendarbeit. Ich finde es interessant, dass Johannes Falk gegen die damaligen Herrscher und Despoten protestierte. So schrieb er einen bösen satirischen Vers:

 „Jauchzet den Despoten 
Zu Ehren,welche uns mit Toten
Ernähren; Und vom Schlachtfeld Leichen
Uns reichen..."

Falk ist wütend auf die Mächtigen. Das ging Thomas nicht anders. Wer Gott und die Menschen liebt, der muss, wenn die Ungerechtigkeit überhandnimmt und die Freiheit verloren geht, politisch werden. Und Thomas war es. Das konnte auch bedeuten, dass er wie damals Falk auch ein kritischer Geist war. Falk schrieb. „Nicht was wir geglaubt, sondern was wir geliebt und was wir gelebt haben, dies allein, dies wird uns richten..." Dieser Satz hätte auch von Thomas gesagt werden können. Und das muss ich hier nicht sagen: Thomas war in diesem Sinne bis in die jüngste Vergangenheit aktiv. Im Aufarbeitungsprozess, im Engagement für die Opfer der SED-Diktatur als Mitglied des Bürgerbüros und vieles andere mehr.

Über dies hinaus gedenken wir der gesamten Persönlichkeit Thomas Auerbach. Er war ja nicht nur der politisch engagierte und theologisch interessierte Mensch. Viele von uns kennen seinen Lebenslauf mit manchen geraden, mit umständlichen und krummen Wegen. Er musste sich mühen mit seinen Beziehungen, mit den Kindern. Und er hatte einen wundervollen Humor und war oft voller Lebenslust. Ihr, wir, da bin ich mir sicher, werden uns immer wieder die Geschichten von und über Thomas erzählen. Wir gedenken, dass er in den letzten Jahren immer kränker und schwächer wurde. Seine letzten Wochen waren besonders schwer. Du liebe Sabine warst ihm in den letzten Jahren eine große Stütze. Dafür auch der Dank der vielen Freunde von Thomas. Ja wir haben einen Freund verloren: 

Die Freundschaft ist die heiligste der Gaben,
Nichts Heilger's konnte uns ein Gott verleihn.
Sie würzt die Freud' und mildert jede Pein
Und einen Freund kann jeder haben,
der selbst versteht, ein Freund zu sein.
(Christoph August Tiedge 1752 - 1841) 

Zum Schluss noch einmal der prägende Lehrer von Thomas - Johann Falk. Seine Grabinschrift, die er selbst formuliert hat, auf dem Weimarer Friedhof lautet: 

„Ewiger Vater, dir befehle
ich des Vaters arme Seele
hier in dunkler Grabeshöhle!
Weil er Kinder angenommen,
lass ihn einst zu allen Frommen
als ein Kind auch zu dir kommen."

Auch das gilt für Thomas Auerbach. Gott wird das Gotteskind Thomas Auerbach annehmen.

Amen