Statt Sozialismus mit menschlichem Antlitz – die Freiheit pur

Eberhard Göschel – eine persönliche Erinnerung

von Ekke Maaß

Eberhard Göschel im Jahr 2005 mit Wolf Biermann und Ekke Maaß in dessen literarischen Salon. Quelle: Archiv E. Maaß

Eigentlich steht es mir nicht zu, an Eberhard Göschel zu erinnern. Es gibt viele Menschen, die ihm näher standen als ich. Wir lernten uns auf einer der Vernissagen der Obergrabenpresse kennen. Mich faszinierte die Verbindung von aufregend guter Kunst, handwerklicher Perfektion und politischer Chuzpe. Die Obergrabenpresse, 1978 von dem Dichter Bernhard Theilmann, dem Drucker Jochen Lorenz und Eberhard Göschel gegründet, umging die staatliche Zensur und druckte frech Grafikmappen und Künstlerbücher, in denen die Texte unliebsamer Autoren verarbeitet waren. Zu den Buchpräsentationen kamen die Leute aus allen Zipfeln der DDR. Trotz staatlicher Schikanen und Stasi-Überwachung überlebte die Obergrabenpresse die DDR und bestand bis 2003.

Eberhard Göschel, der 1980 eine Studienreise nach Georgien unternommen hatte, beherbergte großzügig bei sich meine kaukasischen Gäste, denen ich Dresden zeigte, zuerst in der Straße der Befreiung, dann in der Rietzstraße. Unter ihnen waren der deutsch-georgische Schriftsteller Giwi Margwelaschwili und der großartige tschetschenische Dichter Apti Bisultanov, mit denen wir in der geräumigen Küche saßen. Ich hatte zufällig immer die Gitarre dabei und sang Lieder von Bulat Okudschawa und Wolf Biermann.

Aus Dresden kamen für mich die wichtigsten Impulse für eine unangepasste, sich dem „sozialistischen Realismus“ verweigernde Kunst in der DDR. Künstler wie Eberhard Göschel, R.A. Penck, Peter Hermann und Strawalde waren gefeit gegen ideologische Vereinnahmungen und gingen unbeirrt ihren eigenen Weg. Sie nahmen sich die Freiheit, die ihnen die engstirnigen Parteifunktionäre verweigerten und versuchten die Kunstentwicklung da fortzusetzen, wo sie durch die Naziherrschaft 1933 unterbrochen worden war.

Legendär ist die Türen-Ausstellung im Leonardi-Museum, die Eberhard Göschel zusammen mit Michael Freudenberg 1979 organisierte und an der viele junge Künstler beteiligt waren, mit denen ich bis heute befreundet bin wie Ralf Kerbach und Conny Schleime. Angesichts der Selbstschussanlagen an der DDR-Grenze war eine Ausstellung zum Thema „Türen“ eine politische Provokation. Die vorgestellten Arbeiten waren allerdings weit mehr, sie zeigten Welt-Kunst und ließen die kleingeistige DDR hinter sich.

Kürzlich entdeckte ich in dem Buch „Verschwiegene Kunst – Die internationale Moderne in der DDR“ von Felice Fey, dass Eberhard Göschel bereits als Meisterschüler von Theo Balden an der Akademie der Künste der DDR sich 1979 die Freiheit genommen hatte, den nach Westberlin genehmigten Tagesausflug auszudehnen und erst am nächsten Tag zurück zu kommen, was große, in dem Buch geschilderte Turbulenzen unter den leitenden Professoren auslöste. Die einen wollten ihn bestrafen, die anderen fanden es unangemessen, einen erwachsenen Menschen zu bevormunden. Vor allem sollte ihm nichts Schriftliches in die Hand gegeben werden.

Es freut mich, dass ich 2005 Eberhard Göschel und seiner Lebensgefährtin, der Porträtmalerin und Tänzerin Sonja Zimmermann, den Wunsch erfüllen konnte, sich in meinem literarischen Salon mit Wolf Biermann zu treffen, wovon das Buch „sprachzeiten“ berichtet.

2011 schenkte mir Eberhard eine schöne Arbeit in Meißner Porzellan, die mich an Blätter der Ginkgo-Bäume erinnert, die ich 1978 als Symbol des geteilten und doch einigen Deutschland gepflanzt hatte.

Bei meinem letzten Besuch in der Rietzstraße im Herbst 2020 war ich bis ins Innerste erschüttert von Eberhards Arbeiten. Seine abstrakten Wellen, Strukturen und Linien in bleiernem Grau waren für mich Zeichen einer bleiernen Zeit, an deren Ende der Tod steht. Ich wünschte mir ein Bild von ihm für meinen Salon und erhielt es überraschend per Post, liebevoll von Sonja verpackt. Es bestimmt in der Mitte der Bilderwand die Bilderzählung, ein Liniengewirr auf grauem Ton, Wirrwarr des Lebens oder Drahtverhau. Rechts daneben hängt Gerd Sonntags Mann mit Hund, der nun ein Grenzsoldat sein könnte, links davon die „Grablegung des Soldaten“ von Rainer Bonar, die unmittelbar nach seiner Ausbürgerung den toten Wolf Biermann zeigt, umgeben von Castro, Lenin, Rilke, Gorki, die alle „ohne Ziel vor den Augen“ ins Nirwana blicken.

Ich bin dankbar für die vielen guten Gespräche im Hause Göschel und für Eberhards großartige Kunst, in der er sich verwirklicht hat, was ihm das Wichtigste war.