© Robert-Havemann-Gesellschaft/Dirk Vogel

Ehrhart Neubert (1940 – 2024)

Die Robert-Havemann-Gesellschaft trauert um Ehrhart Neubert. Der Theologe war einer der Hauptakteure der Friedlichen Revolution 1989, prägte in den 1990er Jahren als Historiker die Aufarbeitung der SED-Diktatur und verstand es wie kaum ein anderer seine wissenschaftliche Arbeit mit seinem seelsorgerlichen Auftrag als Gemeindepfarrer zu verbinden.

Ehrhart Neubert wurde 1940 in Herschdorf geboren. Nach einem Studium der Theologie in Jena ging er ins Vikariat nach Niedersynderstedt bei Weimar und blieb dort bis 1984 im Gemeindepfarramt. Gleichzeitig war er ab 1973 Studentenpfarrer in Weimar. 1984 wechselte er nach Berlin, wo er als Referent für Gemeindesoziologie in der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR arbeitete.

Seit 1979 engagierte er sich in verschiedenen Thüringer Friedenskreisen. Im Kontext der Bewegung "Schwerter zu Pflugscharen" geriet er nicht nur mit staatlichen Institutionen in der DDR, sondern auch mit seiner Kirchenleitung in Konflikte. Seine damals verfassten Arbeiten erschienen unter dem Pseudonym "Christian Joachim" in der Bundesrepublik.

Während der Friedlichen Revolution 1989 gehörte Ehrhart Neubert zu den Gründern des „Demokratischen Aufbruchs“. Er arbeitete an dessen Programm mit und wurde stellvertretender Vorsitzender als die politische Gruppierung sich als Partei konstituierte. Im Januar 1990 trat er nach internen Machtkämpfen aus der Partei aus. Von 1992 bis 1995 war er Mitglied des Bündnis 90 in Brandenburg. 1996 wechselte er in die CDU.

In den 1990er Jahren widmete sich Ehrhart Neubert verstärkt seiner wissenschaftlichen Arbeit. Er wurde Autor zahlreicher Schriften zu Widerstand und Opposition sowie zur Situation der Kirchen in der DDR. Ab 1997 arbeitete er als Fachbereichsleiter in der Abteilung Bildung und Forschung der Stasi-Unterlagenbehörde. Zwischen 1998 und 2003 war er ehrenamtlich im Vorstand der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur tätig.

Ehrhart Neubert setzte sich mit großem Engagement für die Opfer des SED-Regimes ein und forderte die konsequente Aufarbeitung der Verstrickungen der evangelischen Kirche mit dem MfS. 1992 wurde er von der Landtagsfraktion des Bündnis 90 in Brandenburg in den Stolpe-Untersuchungsausschuss berufen. 1996 gründete er zusammen mit anderen ostdeutschen Bürgerrechtler*innen das „Bürgerbüro Berlin e.V. – Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur“. Als Nachfolger von Bärbel Bohley wurde er später dessen Vorsitzender. Ab 2005 lebte Ehrhart Neubert im thüringischen Limlingerode im Ruhestand.

Für Ehrhart Neubert gehörten wissenschaftliche Analyse und praktische Aufarbeitung immer zusammen. Mit seiner viel beachteten Geschichte der Opposition in der DDR promovierte er 1996 zum Dr. phil. an der FU Berlin. Darin bescheinigt er jenen Menschen, die sich dem SED-Diktat widersetzten, sie hätten „die geistige Freiheit gegen den Verfügungsanspruch des Totalitarismus verteidigt“. Diese „geistige Freiheit“, die so grundlegend für die Überwindung der Diktatur war, hat er selbst konsequent gelebt.

Ehrhart Neubert verstarb am 17. November 2024 im Alter von 84 Jahren. Die Robert-Havemann-Gesellschaft ist in Gedanken bei seiner Familie, seinen Freundinnen und Freunden.

Erhart Neubert (rechts) bei der offiziellen Gründungsveranstaltung des Demokratischen Aufbruchs am 29. Oktober 1989 im Evangelischen Diakoniewerk Königin Elisabeth (Berlin). Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu/RHG_Fo_BWeu_2100
Offener Brief an den Berliner Oberbürgermeister Krack, in dem die Initiativgruppe der Bürgerbewegung "Demokratischer Aufbruch", die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Aufarbeitung des brutalen Vorgehens der Sicherheitsorgane nach den Protestdemonstrationen am 7. und 8. Oktober 1989 forderte. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/DA 01/6