Nachruf auf Freimut Duve (1936-2020)

Freimut Duve (Mitte) mit einem Kranz für den verstorbenen Robert Havemann bei dessen Beisetzung in Grünheide am 17. April 1982. Quelle: BStU, HA_XX_AP_56350_92-013

Schwer beladen hatte sich Freimut Duve im April 1982 nach Grünheide aufgemacht, um dem kurz zuvor verstorbenen Freund Robert Havemann eine letzte Ehre zu erweisen. Den Kranz trug er gut sichtbar über den Köpfen jener, die wagten, den gleichen Weg zur Beerdigung des ostdeutschen Dissidenten zu gehen, obwohl Dutzende von Geheimpolizisten sie fotografierten, einschüchterten, immer wieder Einzelne herausgriffen und festnahmen. Nicht viele westliche Politiker zeigten in jenen Jahren so offen ihre Solidarität mit Oppositionellen im Osten. Freimut Duve war ihnen als engagierter Sozialdemokrat ein lebhafter und streitbarer Gefährte. In der von ihm in den 1970er und 1980er Jahren herausgegebenen einflussreichen und vielgelesenen Buchreihe „rororo aktuell“ fanden die Stimmen osteuropäischer Dissidenten häufiger Gehör als andernorts. 1975 erschien hier eine von Rudi Dutschke und Manfred Wilke besorgte Sammlung kritischer Reflexionen über das Verhältnis der westlichen Linken zu den Verbrechen des Kommunismus in der Sowjetunion und den Enthüllungen Alexander Solshenizyns. „Unfreiheit als Notwendigkeit“ schrieb Robert Havemann in diesem Buch, sei „das Leitmotiv des stalinistischen Pseudosozialismus“.

Die Empathie Freimut Duves für die Gegner politischer Verfolgung mag auch biographisch begründet gewesen sein: Der Vater des 1936 in Würzburg Geborenen wurde noch 1945 von kroatischen Ustascha-Faschisten ermordet, weil er Jude war. Seine Mutter musste die Herkunft ihres Sohnes vor den deutschen Faschisten deshalb sorgfältig verbergen. Frühe Studien führten ihn 1961 nach Südafrika, ins Land der Apartheid, wo die Minderheit weißer Einwanderer die afrikanische Mehrheit entrechtete und verfolgte.

Lebhaft unterstützte Duve Willy Brandts Aufbruch zu „mehr Demokratie“ in den frühen 1970er Jahren. Ebenso befürwortete er die Politik der Entspannung auf dem Wege kleiner Schritte und zu menschlicher Erleichterungen, wo sie aus den Blockaden des Kalten Krieges hinausführte. Doch kleine Schritte zu gehen, bedeutete für ihn keine Leisetreterei gegenüber Feinden der Freiheit, selbst wenn er sich mit dieser Auffassung in der eigenen Partei nicht immer beliebt machte.

Der Einfluss von DDR-Dissidenten wie Havemann oder Wolfgang Harich bestärkte ihn früh, auf die ökologischen Gefahren zu verweisen. Der in seiner Buchreihe erschienene Band über den „Atomfilz“ nahm keine Rücksicht auf die darin verflochtenen Genossen. Bemerkenswert sind auch seine schon 1980 eingebrachten parlamentarischen Nachfragen zu einer nachhaltigen und umweltschonenden Verkehrs- und Baupolitik. Die hatten ihm von konservativer Seite das Etikett „Patenonkel des rotgrünen Protestes“ und die Schmähung „Aussteiger, Krawallmacher und Unruhestifter“ eingebracht.

Duve stellte sich gegen das Anheizen des atomaren Wettrüstens: „Wir wollten erreichen, dass mehr gegen den Hunger und weniger für Waffen ausgegeben wird.“ Er unterstützte die Entspannungspolitik, ohne die Menschenrechtsverletzungen im Ostblock mit Schweigen zu übergehen. Im Gegenteil, wenn es galt, diese zu stoppen, befürwortete er diplomatischen oder wirtschaftlichen Druck und wandte sich entschieden gegen diplomatische Beschwichtigung.

Begeistert begrüßte er die demokratische Revolution in der DDR und forderte im Bundestag die Regierung auf, den Ostdeutschen auf dem schwierigen Weg in die selbstgewonnene Freiheit Unterstützung und Zeit zur eigenständigen Organisation zu geben. Im März 1990 sagte er vor dem damals leider nahezu leeren Plenum des Bundestages:

„Die Menschen in der DDR brauchen die Chance einer offenen Diskussion. Dafür brauchen sie Zeit, in der sie sich nicht unter dem Druck der Ereignisse aufreiben, sondern in der sie das Neue, aber auch das Vorhandene prüfen können. Sie brauchen Zeit, aber auch Behutsamkeit. ... Am nächsten Sonntag wäre Robert Havemann 80 Jahre alt geworden. Ich möchte auch für das Protokoll hier an ihn erinnern, weil er mutig versucht hat, Grundlagen zu schaffen, um die Freiheit wiederzugewinnen, eine ungelenkte und unzensierte Kultur wiederzubeleben, aber auch das Gewebe einer öffentlichen politischen Kultur wieder neu zu knüpfen.“

Knapp 30 Jahre nach dieser Rede ist Freimut Duve vergangene Woche in Hamburg gestorben. Die Denkanstöße, die er in vielerlei Hinsicht gegeben hat, haben indes nichts von ihrer Brisanz verloren.

Freimut Duve am Grab von Robert Havemann bei dessen Beisetzung in Grünheide am 17. April 1982. Quelle: BStU, HA_XX_AP_56350_92-027
Freimut Duve (Mitte) mit einem Kranz für den verstorbenen Robert Havemann bei dessen Beisetzung in Grünheide am 17. April 1982. Quelle: BStU, HA_XX_AP_56350_92-013
Freimut Duve am Grab von Robert Havemann bei dessen Beisetzung in Grünheide am 17. April 1982. Quelle: BStU, HA_XX_AP_56350_92-027