25.01.2018

Zum Tod von Peter Schicketanz

Peter Schicketanz während des Bausoldatenkongresses vom 3. bis 5. September 2004 in Potsdam ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Rolf Walther

Das Wirken des Theologen Dr. Peter Schicketanz findet in den einschlägigen Betrachtungen zur (kirchlichen) Opposition keine Erwähnung. Auch der von ihm 1994 auf einer CVJM-Tagung gehaltene Vortrag zur Geschichte der Bau­soldaten blieb bisher weitgehend unbeachtet. Dabei war Peter Schicketanz ähnlich aktiv wie Heino Falcke, Hans-Jochen Tschiche oder Christoph Hinz. Die "Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen" von 1965, an der er wie die Vorgenannten mitarbeitete, wertete in nie wie­der­hol­ter Klarheit die Leiden der Wehrpflichttotal­verwei­gerer im Straflager als das "deutlichere Friedenszeugnis" der Christen:

"Es wird nicht gesagt werden können, dass das Frie­denszeugnis der Kirche in allen drei der heute in der DDR gefällten Entscheidungen junger Christen in gleicher Deutlichkeit Gestalt angenommen hat. Vielmehr geben die Verweigerer, die im Straflager für ihren Gehorsam mit persönlichem Freiheitsverlust leidend bezahlen und auch die Bausoldaten, welche die Last nicht abreißender Gewissensfragen und Situationsentscheidungen übernehmen, ein deutlicheres Zeugnis des gegenwärtigen Frie­dens­gebots unseres Herrn. Aus ihrem Tun redet die Freiheit der Christen von politischen Zwängen." Christlicher Friedensdienst dürfe als öffentlicher Auftrag "nicht indi­vidualethisch verengt" werden. Wegen der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Atomrüstung trete die Kirche "erstmals für Wehrdienstverweigerung ein". Die Staatssicherheit der DDR wertete das Positionspapier als Angriff auf die "sozialistische Wehrpolitik". Und natürlich war diese "Freiheit von politischen Zwängen" eine klar formulierte oppositionelle Absage an den totalitären Herrschaftsanspruch der SED.

Peter Schicketanz wird 1931 in Görlitz geboren und wächst im sudetendeutschen Friedland im Isergebirge auf. Der Vater ist Eisenhändler, die Mutter Hausfrau. Ab 1945 lebt die Familie in Görlitz. Als er mit 18 Jahren sein Abitur abgelegt hat und gerade drei Wochen Maschinenbaulehrling ist, erkrankt er an spinaler Kinderlähmung. Krankenhausaufenthalte in Görlitz und Leipzig folgen, fürderhin ist er auf Gehhilfen angewiesen. Zwei Jahre später nimmt er ein fünfjähriges Theologiestudium auf und besteht an der Martin-Luther-Universität zu Halle an der Saale sein erstes Examen. 1956/57 studiert er in Basel als Stipendiat des Ökumenischen Rates. In den folgenden drei Jahren absolviert er sein Vikariat an der reformierten Dom- und Schlossgemeinde in Halle und ist zugleich Inspektor des Reformierten Konviktes. Dem zweiten the­ologischen Examen folgt ein Jahr vor dem Mauerbau die Promotion an der Kirchlichen Hochschule in Berlin-Zeh­lendorf.

1958 hat er die Ehe mit der Damenschneidermeisterin Gisela Zimmer geschlossen, aus der vier Söhne hervorgehen. Drei von ihnen werden später als Kriegsdienstverweigerer zu den Bausoldaten einberufen, der vierte verweigert den Reservistendienst.

Von 1960 bis 1964 ist Dr. Schicketanz Dorfpfarrer in der Magdeburger Börde. Zu Beginn des Jahres 1965 wird er zum persönlichen Referenten des Bischofs der Kirchenprovinz Sachsen, Johannes Jänicke, berufen. In dieser Zeit ist er zunächst als Schriftführer beteiligt an der Ausarbeitung der Handreichung für Seelsorge an Wehrpflichtigen "Vom Friedensdienst der Kirche". Er besucht Bausol­daten in Kasernen auch außerhalb der Kirchenprovinz, läßt sich von ihren Erfahrungen berichten und berät Total­verweigerer.

Dr. h.c. Jänicke geht 1968 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand. Werner Krusche wird sein Nachfolger als Bischof. Schicketanz ist jetzt als Konsistorial- bzw. Oberkonsistorialrat in Magdeburg zuständig für die Ausbildung der Theologen. Ab 1970 ist er zudem für fünf Jahre Mitglied des Ausschusses "Kirche und Gesellschaft" des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR.

1979 wird er Gründungsrektor der Evangelischen Ausbildungsstätte für Gemeindepädagogik in Potsdam, die er bis 1986 leitet und in der er bis zum Erreichen des Rentenalters 1996 doziert. Im Kirchenkunde- und Ethikunterricht diskutiert er auch Fragen der Wehrdienstverweigerung. Er berät diesbezüglich seine Studenten, die mehrheitlich die Waffe oder den Wehrdienst ganz verweigern.

Peter Schicketanz selbst gehört zu den "weißen Jahrgängen", die in keiner der beiden deutschen Diktaturen einberufen wurden. In seiner Magdeburger Zeit von 1965 bis 1979 ist er im Konsistorium zuständig für die Beratung Wehrpflichtiger und engagiert sich dabei über seine eigentliche Diensttätigkeit hinaus. Immer wieder besucht er Bausoldaten, z.B. in Löbau und Holzdorf. Er arbeitet mit an Eingaben der provinzsächsischen Synode und Fürbittlisten für inhaftierte Verweigerer. Ab 1966 nimmt er teil an den ersten Zusammenkünften ehemaliger Bausoldaten, die zunächst im Berliner Missionshaus stattfinden und ab 1969 als jährliche Zentraltreffen in Leipzig fortgesetzt werden. In diesem Kreis referiert der Oberkonsistorialrat 1976 vor 21 Teilnehmern in der Petri-Gemeinde zum Thema "Die Macht der Ohnmacht". Neben diesen Treffen beteiligt er sich ab 1970 an der Arbeitsgemeinschaft Friedensfragen beim Jungmännerwerk in Ostberlin, die die Handreichung von 1965 überarbeitet und neu herausgibt. Maßgeblichen Anteil hat er an der Ausgestaltung der "Jubiläen" der Bausoldatenanordnung 1974 in Erkner sowie 1984 und 1989 in Berlin.

Das Ministerium für Staatssicherheit beobachtet diese Aktivitäten und verfolgt Peter Schicketanz in einer Operativen Personenkontrolle. Dort wird 1973 vermerkt: "Der Sch. gilt in der Kirchenprovinz Sachsen als Hauptinitiator in Fragen des Wehrdienstes, Wehrersatzdienstes und der Wehrdienstverweigerungen." Auch die Zusammenarbeit mit dem ebenfalls in Sachen Wehrpflichtigenberatung sehr rührigen Landesju­gendwart Rudolf Reese bleiben der Stasi nicht verborgen. Besonders die Beratungsstellen für Wehrpflichtige, die beide betreuen, sind der Stasi ein Dorn im Auge; ebenso die Bestrebungen, die Bausoldaten und christlichen Soldaten zu vernetzen.

Pfarrer Reese wird vom MfS im Operativen Vorgang "Soldat" verfolgt. Das MfS plant, Reese zu inhaftieren und wegen Wehrkraftzersetzung anzuklagen, weil er laut Spitzelinformationen eine Kartei mit den Standorten von NVA-Garnisonen führt. Die als staatsgefährdend angesehene Datei beinhaltet Kasernenanschriften von Soldaten und Bausoldaten, die vom Magdeburger Jungmännerwerk und anderen Pfarrern seelsorgerisch betreut werden. Der IM "Torsten" fertigt 1974 auftragsgemäß eine Skizze seines Wohnhauses in Ochtmersleben, um der dafür ausgebildeten Stasiabteilung VIII/3 einen konspirativen Einbruch zu ermöglichen. Es werden 46 vorgefundene und fotografisch dokumentierte Materialien zum "Friedensdienst" aufgelistet, deren Auswertung "nach gesellschaftspolitischen sowie strafrechtlich relevanten Merkmalen" eine in der Berliner Hauptabteilung XX/4 extra "zu diesem Problem geschaffene Expertenkommission" vornimmt.

Zum erwähnten Vortrag vom März 1976 "Die Macht der Ohnmacht" ist auf der VSH-Karteikarte vermerkt, Schicketanz forderte hier die "Durchbrechung der gegenwärtigen Machtverhältnisse mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes, mit Kaltschnäuzigkeit, guten Nerven und Gewaltlosigkeit."14  Damit wies er sich selbst als Pragmatiker einer gut protestantischen und aufklärerischen Resistenz aus.

Quelle: Hildebrand, Gerold: Peter Schicketanz. Ein wichtiger Begleiter der Wehrdienstverweigerer, in: Horch und Guck, Heft 46, Leipzig 2004, Seite 21-22.

Den Originaltext inklusive der Anmerkungen finden Sie auf der Internetseite von "Horch und Guck".