BÄRBEL BOHLEY. HOMMAGE ...

...auf eine Gründerin der Robert-Havemann-Gesellschaft

von Irena Kukutz

Bärbel Bohley am 8. November 1989 in ihrer Wohnung in der Fehrbelliner Straße. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Kämper/RHG_Fo_AnKae_451

Im 30. Jahr ihrer Gründung … erinnert die Robert-Havemann-Gesellschaft an Bärbel Bohley als eine besonders hervorzuhebende Gründerin, zumal sich auch ihr Todestag im Jahr 2020 zum zehnten Mal jährt.

Auf ihrem Lebensweg war die Gründung unserer Gesellschaft nur eine von vielen Wegmarken, aber eben nicht irgendeine, denn diese Gründung war auch für Bärbel ein Resultat ihres oppositionellen Engagements zu DDR-Zeiten und ein Aufbruch zu ganz neuen Initiativen.

Aufbrechen … sich ein Bild machen, ein ganz eigenes, das war schon ihr Anliegen, als sie ihre ersten selbstständigen Schritte ins Leben machte. Im Mai 1945, wenige Tage nach Kriegsende in ein Trümmerfeld hineingeboren, Tür an Tür wohnend mit Geflüchteten, die ängstlich schwiegen über das, was sie erlitten hatten. All das verfolgte das Mädchen Bärbel Brosius seinerzeit mit wachsender Neugier. Diese prägenden Erinnerungen und Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend in den Nachkriegsjahren wirkten wie ein Kompass auf ihrem Lebensweg.

Sie suchte und fand die ersehnten Freiräume zur Entfaltung ihres kreativen Potenzials. Als Malerin und Grafikerin wollte und konnte sie ihre expressive Seite auf Leinwand und Papier ausleben und Gleichgesinnte finden. Zunehmend bedeutungsvoll wurden aber auch die Auseinandersetzungen mit den politischen Fragen ihrer Zeit, für welche die bildkünstlerischen Mittel unzureichend waren. Sie wollte mehr als nur hinschauen und abbilden, wollte auch konkret verändern, eingreifen ins Geschehen, mit Worten und Taten.

In der bunten Kulturszene des Prenzlauer Berg fand sie im Kontakt mit Gleichgesinnten jene Impulse, die einengenden Verhältnisse immer weiter zu hinterfragen, sich ein eigenes Bild in kritischer Distanz zum DDR-Staat zu machen, und wurde so in dem Geflecht aus Unangepassten, Quertreibern, Oppositionellen selbst ein Knotenpunkt. Es gab in ihrem Atelier Lesungen wie die mit Robert Havemann aus seinem Buch „Der Morgen“, auch Ausstellungen, Besuch aus dem Westen ging ein und aus.

Sich einmischen … Grenzen überschreiten, dieses kreative Widersetzen, das Zur-Entfaltung-Bringen, habe Spaß gemacht und Kraft gegeben, so beschrieb Bärbel Bohley ihre Zeit mit den „Frauen für den Frieden“ in den 1980er-Jahren. Nur so habe sie diesem DDR-Mief begegnen können. Ihr Atelier in der Fehrbelliner Straße wurde zu einem viel besuchten Treffpunkt. Ein Besuch von englischen Friedensfreundinnen war für die Stasi dann der Anlass, vier von ihnen zu verhaften. Für die als Rädelsführerin von der Stasi erkannte Bärbel Bohley hatte dies, nach der Entlassung aus dem Gefängnis, fortan spürbare Konsequenzen auch für ihr künstlerisches Schaffen. Nicht nur der Berufsverband der Künstler distanzierte sich von der zuvor hochgeschätzten Kollegin, man strafte sie ab mit einem Ausstellungs- und Auftragsboykott, verhängte ein Reiseverbot nach Ost wie West.

Diese Einmischung hatte für sie aber ab 1985 längst eine ganz neue Qualität angenommen. Mit der außerkirchlichen oppositionellen Gruppe Initiative für Frieden und Menschenrechte, die sie mitgegründet hatte, wurde der Protest noch deutlicher artikuliert, zugespitzt auf die Verletzung der Menschenrechte in der DDR, was zunehmende Repressalien nach sich zog. Ihre zweite Inhaftierung und den Rauswurf aus der DDR 1988 erlebte sie als eine Erschütterung ihrer ganzen Persönlichkeit, ein Versagen, das ein Trauma auslöste, das sie bis in ihre letzten Lebensjahre verfolgte. Diese erzwungene Reise und die erkämpfte Rückkehr in die DDR hatten aber auch ganz neue Einsichten zur Folge, die sie nun in die Tat umsetzen wollte.

Bewegung anstiften … Das Jahr 1989 war ein Wendepunkt im Leben von Bärbel Bohley. Den zusätzlichen Schwung, den nicht nur die politischen Ereignisse ihr gaben, als in der DDR alles ins Rutschen kam, sondern vor allem die mitgebrachten Erkenntnisse nach ihrem halbjährigen erzwungenen Aufenthalt im Westen verstärkten ihren Drang, endlich die ersehnten Veränderungen in Gang zu setzen. Die Zeit war reif und sie selbst auch.

Es sei die schönste Zeit ihres Lebens gewesen, dieser Herbst 1989, das sagte Bärbel Bohley immer wieder. Sie war begeistert darüber, dass der Zusammenbruch des verdorrten Staatsgerippes der Diktatur durch diesen großartigen Aufbruch der Menschen bewirkt wurde, die endlich ihre Sprachlosigkeit überwunden hatten. Als eine der maßgeblichen Initiatorinnen der Bürgerbewegung Neues Forum wurde sie in jenen Monaten getragen von einer Welle der Sympathie, war für viele das Gesicht und die Stimme dieser Friedlichen Revolution. Ihr Traum von einer anderen Gesellschaft schien zum Greifen nah.

Dass an Bildermalen in diesen stürmischen Zeiten nicht mehr zu denken war, nein, es sei ihr nicht schwergefallen, ihre künstlerische Laufbahn nun zu beenden, Pinsel und Farbe ganz einzutauschen gegen Worte. Das sei nur eine andere Ausdrucksform für ihre Kreativität gewesen. Sie eilte von einem Termin zum anderen, wurde eingeladen in Talkshows, gab Interviews für Medien aus aller Welt, war eine gefragte Gesprächspartnerin in Bildungseinrichtungen im In- und Ausland, um als Zeitzeugin zu berichten. Neben ihrer engagierten Arbeit für das Neue Forum, als Stadtverordnete, Mitarbeiterin der Parlamentarischen Gruppe Neues Forum im Berliner Abgeordnetenhaus, den Führungsgremien der Bürgerbewegung hatte sie auch ein Wort mitzureden in zahlreichen neu gegründeten Initiativen und Vereinen, wie eben als Beirätin und Gründungsmitglied in der Robert-Havemann-Gesellschaft oder der ersten unabhängigen Wochenzeitung die andere.

Bärbel Bohley wurde gefeiert, erhielt mehrere Auszeichnungen für ihr Engagement, sie wurde aber auch heftig angefeindet, saß mit Staatsoberhäuptern an einem Tisch, war eine viel beschäftigte Frau. Bei der rasanten Geschwindigkeit, mit der sich die Rahmenbedingungen für politisches Handeln veränderten, verlor aber auch sie bald den Überblick und konnte den Dingen nur noch hinterherlaufen, auf die Euphorie folgte die Desillusionierung und sie wollte schließlich dem Erwartungsdruck nur noch entfliehen. Ihr Unbehagen an der ihr zugeschriebenen Rolle als „Vorzeige-Bürgerrechtlerin“ war erheblich gewachsen, und sie suchte und fand einen Weg, endlich wieder ihr Leben in die eigenen Hände nehmen zu können. Sie nahm das Angebot, am Wiederaufbauprogramm im kriegszerstörten Bosnien mitzuarbeiten, Kriegsflüchtlingen die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen, bereitwillig an. Zwölf Jahre fand sie auf dem Balkan ihr neues Zuhause, leitete Bauprojekte, baute Dächer und Zisternen für die Familien, gründete auch einen Verein, um in ihrem Haus in Kroatien Kindern aus Flüchtlingsfamilien und Kriegswaisen unbeschwerte Ferien am Meer zu ermöglichen. Mit den Jahren werde der Atem flacher und alles sei anstrengender, schrieb Bärbel Bohley im letzten Info-Brief an die Mitglieder und die Spender ihres Vereins „Seestern“ über die Ferienaufenthalte der Kinder in ihrem Haus in Celina. Ihre Kräfte waren aufgebraucht, wenig später wurde das zur Gewissheit.

Aufbewahrt … sind im Archiv der DDR-Opposition Dokumente und Zeugnisse ihres Wirkens und erinnern uns in der täglichen Arbeit an den bedeutenden Beitrag, den sie geleistet hat. Wir gedenken und würdigen Bärbel Bohley als eine der Wegbereiterinnen für das Gelingen unserer politischen Bildungsarbeit, die Bärbel lange Jahre auch in durchaus kritischer Anteilnahme begleitete. Wir vermissen ihre unverwechselbare politische Stimme und werden ihr Andenken durch unsere Arbeit bewahren.