9. November 1989, Grenzübergang Bornholmer Straße - Die ersten Bilder des Mauerfalls

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Der Kameramann Rainer M. Schulz machte am 9. November 1989 einzigartige Aufnahmen von der Öffnung der Berliner Mauer am Grenzübergang Bornholmer Straße. Von allen Bildern, die an diesem historischen Abend in Berlin entstehen, sind die von Schulz wahrscheinlich die frühesten. Rainer M. Schulz berichtet in unserer Rubrik „Aus dem Archiv“, wie er zusammen mit seinem Sohn den Mauerfall an der Bornholmer Straße erlebte und wie seine historischen Fotos entstanden sind.

Meine Familie und ich wohnten damals in der Driesener Straße, Ecke Czarnikauer Straße, also in direkter Nähe zum Grenzübergang in der Bornholmer Straße. Meine Frau hatte für den 9. November ein Besuchsvisum zum Geburtstag ihrer Tante in West-Berlin erhalten, weswegen ich sie am Tränenpalast, der Grenzübergangsstelle in der Friedrichstraße, gegen 18.00 Uhr verabschiedet habe. Auf dem Rückweg hörte ich dann in einer Kneipe von der Erklärung Schabowskis, in der er die neuen Ausreisebestimmungen vorstellte und sich dabei den berühmt gewordenen Versprecher leistete.

Aus meiner Wohnung holte ich den Fotoapparat und zusammen mit meinem 17-jährigen Sohn ging ich den kurzen Fußweg von unserer Wohnung zum Grenzübergang. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich schon viele Menschen vor dem Schlagbaum versammelt. Wir konnten uns langsam durch die Menschenmenge nach vorne drängeln. Vom geschlossenen Grenzzaun aus konnten ich und mein Sohn sehen, dass an der Fußgängerabfertigung bereits erste Menschen nach West-Berlin durchgelassen wurden. Allerdings traute ich mich nicht hier zu fotografieren, denn direkt auf der anderen Seite des Zauns standen uniformierte Grenzsoldaten. Die Menschen um uns herum wurden immer lauter mit Rufen wie „Macht das Tor auf!“ und „Wir kommen wieder!“ Die Stimmung war aber keineswegs wütend oder aggressiv. Eher so, als würden die Menschen selbst nicht an die Erfüllung ihrer Forderungen glauben. Durch die rasant größer werdende Menschenmenge wurden aber auch diese Rufe immer lauter und somit stieg auch der Druck auf die Grenzer.

In meiner Erinnerung formierte sich dann auf der anderen Seite des Grenzzauns eine Postenkette. Ich bekam Angst, dass Irgendwer dem großen Druck nicht standhält und eine Panik entstehen könnte. Die blutigen Ereignisse um den „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking waren ja gerade erst vom Egon Krenz, dem neuen Staatschef der DDR, gut geheißen worden. Für mich und meinen Sohn wäre aus der großen Menschenmenge kein Entkommen gewesen. Ich bahnte uns also durch die Menge einen Rückweg und wir entfernten uns vom Schlagbaum. Plötzlich entstand Raum um uns herum und nachrückende Menschen liefen an uns vorbei. Da realisierte ich, dass der Schlagbaum zur Seite geschoben wurde und die Menschenmenge durch die Grenzanlage in Richtung Westen strömte. Auch wir liefen dann mit ungläubigen aber zunehmend euphorischen Gefühlen in Richtung West–Berlin.

Stunden später feierten wir in Berlin-Schöneberg zusammen mit meiner Frau den Geburtstag der Tante und die wundersame Öffnung der Berliner Mauer. 

 

 

 

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