Zum dritten Mal trafen sich am 22. November 2019 auf Einladung des VdA die Berliner Archivare. Dieses Mal unter dem Motto „Immer zu spät?“ In der Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie stellten die Teilnehmer sich der Frage wie gesellschaftliche Umbrüche im Archiv überliefert werden können. 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution ist der Transformationsprozess in Ostdeutschland exemplarisch für diese Fragestellung. Ein Archiv in dem dieser Umbruch besonders erfahrbar wird, ist das Archiv der DDR-Opposition der Robert-Havemann-Gesellschaft. Die ehemalige Leiterin des Archivs der DDR-Opposition, Tina Krone, gab in ihrem Tagungsbeitrag einen Einblick in die Überlieferung der Friedlichen Revolution in den Beständen des Archivs der DDR-Opposition. Wir teilen hier den kompletten Beitrag.

 

 

Die Friedliche Revolution im Archiv der DDR-Opposition. Die Überlieferung der Akteure

Vortrag von Tina Krone zum Berliner Archivtag am 20.11.2019 in der Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie.

1. Das Archiv der DDR-Opposition

Erste Akteneinsicht in der BStU am 2. Januar 1992. Personen (v.l.n.r.): Eva-Maria Hagen, Pamela Biermann, Katja Havemann, Jürgen Fuchs, Wolf Biermann. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Peter Wensierski/RHG_Fo_HAB_16514

Mit der Besetzung der Stasi vor fast 30 Jahren kam ans Licht, was bis dahin nur in Vermutungen existierte. Die viele Kilometer umfassenden Stasi-Akten erregten natürlich großes gesellschaftliches Interesse. Was da allerdings in den Berichten und Maßnahmeplänen über Widerstand und Opposition zu lesen war, gab nur ein verzerrtes bzw. verfälschtes Bild wider, entstanden mit dem Ziel der Überwachung, Beeinflussung und Verfolgung. Es war die Sicht der Herrschenden.

Die Idee, die Selbstzeugnisse der Opposition zusammenzutragen und so der Überlieferung der Machthaber die eigene Überlieferung entgegenzusetzen, kam schnell auf. Gleich Anfang der 1990er Jahre wurde eine ganze Reihe von Oppositionsarchiven gegründet, u. a. in Jena, Leipzig, Großhennersdorf, Werdau und in Berlin.

Das Archiv der DDR-Opposition in der Robert-Havemann-Gesellschaft vereint die drei damals in Berlin entstandenen Archive: Robert-Havemann-Archiv, Matthias-Domaschk-Archiv und das Archiv GrauZone.

Mit der Sammlung des entsprechenden Schrift-, Bild- und Tonguts sowie von musealen Objekten bzw. Sachzeugnissen war die möglichst vollständige Überlieferungsbildung zu Einzelpersonen und Gruppen der DDR-Opposition angestrebt. So kam auch die Friedliche Revolution ins Archiv, gespiegelt im Schriftgut der oppositionellen Gruppen und der im Herbst 1989 entstandenen Bürgerbewegungen und Parteien sowie ihrer Akteure. 

Die archivierten Schriftgutbestände (ca. 750 lfm), das Fotoarchiv (ca. 500.000 Fotos), die Plakate- und Transparente-Sammlung, die Video- und Audiobestände sowie die Sammlung musealer Objekte enthalten Materialien zu allen relevanten Ereignissen und Ergebnissen der Friedlichen Revolution vor 30 Jahren in der 

2. Materialien zu ausgewählten Ereignissen der Friedlichen Revolution

Erklärung verschiedener Oppositionsgruppen zu den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989: „Durch die offensichtliche Wahlmanipulation hat das ohnehin umstrittene Wahlsystem seine Glaubwürdigkeit verloren.“ Quelle: RHG/UP 40

2.1. Die Kommunalwahl am 7. Mai 1989

Dass Wahlen in der DDR diesen Namen nicht verdienten, war auch 1989 keine Neuigkeit. Auf einem Zettel waren die Kandidaten aller Parteien und Massenorganisationen aufgelistet, „Einheitsliste“ genannt. Dieser Zettel musste einfach gefaltet und in die Wahlurne gesteckt werden. Anzukreuzen war nichts. Wer das wollte, musste in die Kabine und wurde misstrauisch beäugt. Den offiziellen Angaben nach stimmten in der Regel immer um die 99 Prozent der Wähler mit JA. Obwohl tatsächlich eine überwältigende Mehrheit die Wahlzettel kommentarlos faltete, kam in der Bevölkerung wiederholt der Verdacht der Wahlfälschung auf.

Bei den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 konnten Oppositionelle das zum ersten Mal belegen, indem sie die Auszählung der Stimmen in den einzelnen Wahllokalen flächendeckend kontrollierten. Der Vergleich mit dem amtlichen Endergebnis zeigte dann auch deutlich, dass die offiziell verkündeten Wahlergebnisse gefälscht waren.

Demonstration am 7. Juni 1989 vor der Sophienkirche in Ost-Berlin. Der
nachgewiesene Wahlbetrug empört viele Menschen. Fortan wird an jedem siebenten Tag der folgenden Monate demonstriert. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Hans-Jürgen Röder/RHG_Fo_HAB_15005

In unserem Archiv finden Sie Aufrufe und Handzettel verschiedener Initiativen und Gruppen aus dem Vorfeld der Wahlen mit Erläuterungen der gesetzlichen Möglichkeiten zur Kandidatenaufstellung und zur Kontrolle der Stimmauszählung. Ebenso verfügen wir über Auszählungsprotokolle aus einzelnen Wahllokalen, etliche Protestschreiben und Eingaben. Die zeitgenössische Dokumentation, welche unter dem Titel „Wahlfall 89“ von der Umwelt-Bibliothek im Samisdat erstellt wurde, befindet sich in unserer Samisdat-Sammlung.

Aufrufe, Gedächtnisprotokolle und Fotos zu den nachfolgenden monatlichen Protestdemos gegen die Wahlfälschung jeweils am Siebenten jedes Monats befinden sich ebenfalls im Archiv der DDR-Opposition.

Der Massenmord auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 1989 löste großes Entsetzen aus. In Ost-Berlin wurde mit diesem Flugblatt zum Protest am 9. Juni aufgerufen. Die Demonstranten wurden sofort festgenommen, verhört und mit Ordnungsstrafen belegt. Der Aufruf war in einem Jugendklub in Berlin-Prenzlauer Berg verteilt worden. Dessen Leiter wurde daraufhin aus seinem Amt entlassen. Quelle: RHG/EP 09

2.2. Die blutige Niederschlagung der Proteste in Peking am 4. Juni 1989

Am 4. Juni 1989 mussten die Oppositionellen in der DDR mit ansehen, wie in China mit Panzern gegen junge Menschen vorgegangen wurde, die nichts anderes wollten als sie: die Demokratisierung der Verhältnisse. Studenten hatten in Peking den Platz des Himmlischen Friedens besetzt und forderten politische Reformen. Wie viele damals starben, ist bis heute nicht bekannt.                         

"Klagetrommeln" in der Erlöserkirche - gegen das Massaker in Peking und die Chinapolitik der SED-Führung. Die Opposition in der DDR protestierte hier und vor weiteren Kirchen mit einem mehrtägigen Klagetrommeln gegen die Niederschlagung der Demokratiebewegung in China. Zuvor waren drei Demonstrationen zur chinesischen Botschaft von der Staatssi-cherheit gewaltsam aufgelöst worden. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke/RHG_Fo_HAB_18899

Demonstrationen vor der chinesischen Botschaft in Ost-Berlin wurden sofort unterbunden, die Teilnehmer verhaftet. Protesterklärungen aus den Gruppen und von Privatpersonen gingen bei Behörden und Ministerien ein, Klage- und Gedenkgottesdienste für die Opfer des Massakers fanden statt. Deutliche Zeichen der Solidarität im öffentlichen Raum wurden mit einer weiteren Aktionsform gesetzt. In mehreren Kirchen wurden nacheinander Tage des „Klagetrommelns“ organisiert.                                                                                  

Anhand von Erklärungen aus verschiedenen oppositionellen Gruppen, Aufrufen zu Protestaktionen, Gedächtnisprotokollen zu den Verhaftungen, Materialien zu verschiedenen Veranstaltungen und Fotos können die wochenlangen Proteste damals rekonstruiert werden.

Am 27.10.1989 stellte sich die Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" in der Gethsemane-Kirche vor. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Kämper/RHG_Fo_AnKae_102

2.3. Die Gründung der Bürgerbewegungen und der neuen Parteien ab September 1989                                                              

Die ersten Aufrufe und Erklärungen sämtlicher neuer Vereinigungen dieser Zeit befinden sich inzwischen fast vollständig bei uns. Das sind im Einzelnen: Neues Forum, Demokratie Jetzt (DJ), Demokratischer Aufbruch (DA), Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP), Unabhängiger Frauenverband (UFV), Vereinigte Linke (VL), Initiative für unabhängige Gewerkschaften, Grüne Liga und Grüne Partei.

Der Bestand des Neuen Forums mit ca. 26 laufenden Metern (lfm) ist der umfangreichste. Das Archiv der DDR-Opposition fungiert als Endarchiv dieser Bürgerbewegung.

Plakat zum Gründungstreffen des Neuen Forums Prenzlauer Berg am 10. November 1989 in der Gethsemane-Kirche. Urheber: Henning Wagenbreth

Am 9. September 1989, als das Neue Forum gegründet wurde, rumorte es bereits in der Gesellschaft angesichts der Massen von Geflüchteten, von denen über die Westmedien zu hören war, aber die Verhältnisse im Land hatten sich noch keinen Millimeter bewegt. Am 22. dieses Monats war in den Zeitungen der DDR zu lesen, dass das Neue Forum verfassungsfeindlich sei und eine „staatsfeindliche Plattform“ darstelle. Trotzdem hatten sich bereits nach zwei Wochen in verschiedensten Orten der gesamten DDR Gruppen des Neuen Forums gebildet, die Bürgerbewegung damit begonnen, sich landesweit zu etablieren.

Spuren der immensen Mobilisierungskraft dieser Bürgerbewegung finden sich zum Beispiel in den Kontaktadressenlisten dieser Wochen aus allen damaligen DDR-Bezirken. Vielleicht noch aussagekräftiger sind die Listen mit den in der gesamten DDR unter dem Gründungsaufruf gesammelten Unterschriften. Der Gründungsaufruf hatte sich für damalige Verhältnisse rasant verbreitet. Zuvor kursierten verbotene Texte nur in einer relativ kleinen politischen und künstlerischen Szene. Jetzt schrieben massenhaft Menschen, die in den Besitz dieses Aufrufs gelangt waren ab, ihn ab, um ihn weiterzugeben. Die Zahl der Unterstützer war in wenigen Wochen auf 200.000 angewachsen, für  die Verhältnisse in der DDR eine unglaubliche Anzahl.

Von 15 Akteuren der ersten Stunde sind inzwischen Vor- und Nachlässe im Archiv der DDR-Opposition vorhanden, darunter der beiden Initiatorinnen des Neuen Forums, Bärbel Bohley und Katja Havemann.

Gründungsveranstaltung des Demokratischen Aufbruchs am 29.10.1989 in Ost-Berlin. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu/RHG_Fo_BWeu_2086

Die Gruppenbestände aller weiteren neuen Vereinigungen des Herbstes 1989 umfassen zusammen ca. 32 lfm, von denen der des UFV mit 18 lfm der umfangreichste ist. Das Archiv GrauZone hatte als Endarchiv für den Frauenverband fungiert.

Es handelt sich in unterschiedlichem Umfang um Gründungsaufrufe, Erklärungen, Listen mit Kontaktadressen, Programme, Satzungen, Unterlagen zu den Gründungsversammlungen und -kongressen, Protokolle zu Vorstands- bzw. Sprecherratssitzungen und Materialien aus Regionalgruppen.

38 Akteure aus diesen unterschiedlichen Bürgerbewegungen, Initiativen und neuen Parteien haben darüber hinaus Schriftgut im Archiv abgegeben. Darunter sind die Nachlässe von Wolfgang Ullmann und Ludwig Mehlhorn, die Bestände von Ulrike Poppe, Konrad Weiß und Hans-Jürgen Fischbeck (alle DJ), der Nachlass von Ibrahim Böhme (SDP und Inoffizieller Mitarbeiter des MfS), der Nachlass von Marion Seelig (VL), die Bestände von Petra Streit und Gabi Zekina (UFV).

Der Unabhängige Frauenverband gründete sich am 3. Dezember 1989 in der Volksbühne. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Gisela Funke/RHG_FO_GZ_1334

Der Kreis der Akteure war allerdings nicht auf die neuen Vereinigungen beschränkt. Nicht wenige der bereits in den 1980er Jahren gegründeten oppositionellen Gruppen agierten während der Revolution weiter wie die Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM), die Berliner Umwelt-Bibliothek oder der Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer. Im Archiv der DDR-Opposition befinden sich über die Gruppenbestände hinaus u. a. die Überlieferungen von Marianne Birthler, Werner Fischer und Gerd Poppe (alle IFM) sowie der Bestand von Tom Sello (Umwelt-Bibliothek).

Auf zwei Arten von Quellen möchte ich besonders hinweisen: Das sind zum ersten die über 2000 Briefe, die damals an die Initiatoren der Bürgerbewegungen gerichtet waren. Sie enthalten Schilderungen über den entmündigenden Alltag in der DDR, die Gründe, warum man sich einmischen will und auch Vorstellungen darüber, was getan werden muss.

Zum zweiten handelt es sich um die Zeitungen bzw. Infoblätter der Bürgerbewegung. Bis in das Jahr 1990 hinein mussten die allerorten aus dem Boden schießenden Zeitungen und Infoblätter die fehlende unzensierte Presse ersetzen. Die Sammlung des Archivs umfasst über 100 Titel. Dazu kommen die von der Opposition schon vorher im Samisdat herausgegebenen Zeitungen, welche ebenfalls über die Geschehnisse 1989/90 berichteten. Sie alle sind als Quellen für die Geschichtsforschung von besonderer historischer Bedeutung.

"40-Quark-Schein" zum 40. Jahrestag der DDR. Vor- und Rückseite eines im September 1989 im Siebdruckverfahren in Ost-Berlin herge-stellten Flugblatt-„Geldscheines“ (Auflage: 2600 Stück). Beteiligt an der Aktion waren Mit-glieder des Freundeskreises Wehrdiensttotalverweigerer. Einige von ihnen hatten das Dru-cken bei polnischen Oppositionellen gelernt und ein Teil der Druckutensilien waren Spenden aus Polen. Die Scheine wurden kurz vor dem vierzigsten Jahrestag der DDR in Ost-Berliner Hausbriefkästen und Verkehrsmitteln verteilt. Quelle: RHG/RW 10

2.4. Der 40. Jahrestag der DDR

Kurz zur Erinnerung: Anfang Oktober 1989 wurde die Situation im Land mit jedem Tag angespannter. Der 40. Jahrestag der DDR stand bevor. In der Hauptstadt liefen die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten am 7. Oktober auf Hochtouren. Am Vormittag wurde wie jedes Jahr eine Militärparade abgehalten. Die Opposition hatte für 17 Uhr zur Demonstration auf dem Alexanderplatz aufgerufen. Seit Juni war – wie bereits erwähnt – immer am siebenten Tag des Monats gegen Wahlfälschung protestiert worden. An diesem 7. Oktober kamen mehr als sonst. Sie sammelten sich auf dem Alexanderplatz und bewegten sich zum nicht weit entfernten Palast der Republik, in dem zu diesem Zeitpunkt der Festakt zum 40. Jahrestag der DDR zelebriert wurde.                                     

Am Palast der Republik standen sich am 7. Oktober 1989 Demonstranten und Machthaber in Ost-Berlin gegenüber. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Nikolaus Becker/RHG_Fo_NiBe_009_13

Staats- und Parteichef Erich Honecker feierte im Kreise seiner prominenten Gäste, darunter Michail Gorbatschow, Nicolae Ceausescu und Jassir Arafat. „Demokratie – Jetzt oder nie!“ und „Neues Forum!“ riefen ihnen die etwa 3.000 Demonstranten zu, bis sie vom Palast abgedrängt wurden. Der Zug bewegte sich von hier durch die Innenstadt in den Bezirk Prenzlauer Berg zur Gethsemanekirche. Hier wurde seit einer Woche mit einer Mahnwache die Freilassung der in den vergangenen Wochen im Land Verhafteten gefordert. In dieser Nacht wurden allein in Berlin über 1000 Demonstranten verhaftet. Am 8. Oktober ging es weiter: Die ca. 3.000 Besucher einer Andacht in der Berliner Gethsemanekirche wurden im Anschluss von Sondereinheiten der Polizei eingekesselt und gewaltsam auseinandergetrieben, wobei es wieder Verletzte und Verhaftungen gab.

Mahnwache in der Gethsemane-Kirche, Berlin-Prenzlauer Berg im Oktober 1989. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Rolf Walter/RHG_Fo_RDA_02267

Unser Archiv verfügt über eine ganze Reihe an Gedächtnisprotokollen, die von an diesen beiden Tagen Verhafteten erstellt worden waren. Sie bildeten das Manuskript für die Samisdat-Veröffentlichung "Gedächtnisprotokolle. Tage und Nächte nach dem 7. Oktober 1989", herausgegeben vom Ev. Stadtjugendpfarramt und der Kontakttelefongruppe. Sie sind später von Marianne Birthler, die federführend an dieser Veröffentlichung beteiligt war, bei uns abgegeben worden.

Das seit Januar 1989 in der Gethsemanegemeinde eingerichtete Kontakttelefon diente der Sammlung und Verbreitung von Informationen, die von den offiziellen Medien verschwiegen wurden sowie der Koordinierung von Solidaritätsaktionen. Unterlagen der Kontakttelefongruppe befinden sich ebenfalls bei uns im Archiv, ebenso Materialien der Mahnwache in der Gethsemanekirche.

Die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss kam sehr schnell auf, wie entsprechende Aufrufe und Erklärungen aus diesen Tagen belegen. Eine unabhängige Untersuchungskommission zu den Ereignissen des 7. und 8. Oktober 1989 und eine "Zeitweiligen Kommission der Stadtverordnetenversammlung von Berlin“ nahmen fast zeitgleich die Arbeit auf, arbeiteten dann zusammen. Wir haben Unterlagen zu beiden im Archiv. Genannt werden soll an dieser Stelle noch eine bei uns befindliche Samisdat-Publikation, die im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR erschienen ist: Es handelt sich um „40 Jahre DDR ... und die Bürger melden sich zu Wort“. Das Buch wurde im Frühsommer des Jahres 1989 von Bärbel Bohley, Katja Havemann, Irena Kukutz und Reinhard Weißhuhn im Samisdat herausgegeben und mit Hilfe der Wachsmatrizentechnik vervielfältigt. Sie hatten Bürger und Bürgerinnen der DDR zu ihrer Sicht auf die Verhältnisse im Land befragt. Heraus kam eine der offiziellen Sicht diametral entgegenstehende Bestandsaufnahme. Im Archiv der DDR-Opposition befinden sich neben mehreren Exemplaren der Samisdat-Ausgabe auch große Teile des Manuskriptes im Nachlass von Bärbel Bohley. 

2.5. Die Demonstrationen

War die Zahl der Demonstrationen von Frühjahr 1989 bis in den September hinein noch überschaubar, nahm sie ab Oktober stetig zu; die Teilnehmerzahlen wuchsen enorm. In unserem Archiv sind neben Aufrufen zu Demonstrationen, auch zahllose Fotos dazu vorhanden. Darüber hinaus kann man auch die Appelle, Erklärungen, Offenen Briefe und Aufrufe verschiedenster Initiativen und von Einzelpersonen, die damals in der DDR kursierten und auch am Rande von Demonstrationen verteilt wurden, bei uns finden. 

Darunter sind die Resolution der Rock- und Jazzmusiker, Liedermacher und Schlagersänger, Offene Briefe aus der Kunsthochschule Berlin und von Mitarbeitern des Centrum-Warenhauses Berlin-Alexanderplatz, Erklärungen von Mitarbeitern des Institutes für Infektionskrankheiten im Kindesalter im Klinikum Buch und aus fast allen Theatern der Stadt. Auch diese auf Ost-Berlin beschränkte Aufzählung macht deutlich, wie umfassend die Mobilisierung damals in der Gesellschaft um sich griff.

Kurz vor Beginn der ersten Sitzung des Zentralen Runden Tisches, rechts die Vertreter und Vertreterinnen der Opposition. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Rolf Walter/RHG_Fo_RDA_01220

2.6. Die Runden Tische ab Dezember 1989                                    

Das Schriftgut zu den Runden Tischen ist wesentlicher Bestandteil des Erbes der Bürgerbewegung der DDR. Der Runde Tisch als Ort des Dialoges zwischen neuen und alten politischen Kräften und als Methode eines gewaltfreien Krisenmanagements existierte in der gesamten DDR, auf der Ebene des Staates, der Bezirke, Kreise, Städte und Gemeinden einerseits und zu inhaltlichen Schwerpunkten wie Frauen-, Jugend- oder Gesundheitspolitik andererseits. Als die territorialen Runden Tische nach der Neuwahl der verschiedenen parlamentarischen Gremien im Laufe des Jahres 1990 ihre Arbeit eingestellt hatten, wurden Runde Tische zur „Lösung neuer sozialer Probleme“ installiert, wie der „Frauenpolitische Runde Tisch“ und der „Runde Tisch von unten“. Zur Aushandlung von Wahlbündnissen und zur Gründung der Partei „Bündnis 90“ wurde ebenfalls diese Form gewählt und der „Runde Tisch zum Bündnis 90“ einberufen.

Im Archiv der DDR-Opposition befindet sich Material zu den genannten und zu weiteren Runden Tischen, deren Aufzählung jetzt zu viel Zeit fordern würde.

3. Materialien zu ausgewählten Ergebnissen der Friedlichen Revolution

Wahlplakat von Bündnis 90 zur Volkskammerwahl am 18. März 1990.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Robert Conrad/RHG_Fo_RoCon_0108

3.1. Die Volkskammerwahl am 18. März 1990

Zum Wahlkampf der Opposition im Vorfeld der Volkskammerwahl am 18. März 1990 befindet sich reichlich Material in unserem Archiv. Das umfasst sowohl Unterlagen der verschiedenen Wahlbündnisse und einzelner Kandidaten, als auch Schriftgut des Wahlbüros des Bündnis 90, der Wahlkommission der DDR, der Wahlkommission von Berlin-Mitte und der Arbeitsgruppe Wahlgesetz des Zentralen Runden Tisches. Die erste frei gewählte Volkskammer als ein Ergebnis der Revolution konstituierte sich am 5. April 1990 und arbeitete bis zum 2. Oktober, dem Tag vor der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Die Unterlagen im Archiv der DDR-Opposition stammen überwiegend aus der Fraktion „Bündnis 90/Grüne“ von den Abgeordneten Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß, Marianne Birthler, Gerd Poppe und von den Mitarbeitern Christiane Ziller und Reinhard Weißhuhn sowie vom Geschäftsführer Klaus Richter.

Wir verfügen darüber hinaus über Wahlwerbung (Plakate, Flugblätter, Filme, Transparente) – auch anderer Parteien und Wahlbündnisse – über Wahlgesetz, Analysen und Wahlergebnisse.

 

 

Sturm auf die Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg am 15. Januar 1990. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Rolf Walter/RHG_Fo_RDA_02498

3.2. Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit

Die Abschaffung des Ministeriums für Staatssicherheit war eine der zentralen Forderungen der Revolution. Zur Durchsetzung dieses Ansinnens und zur eigentlichen Auflösung des Ministeriums befinden sich zahllose Dokumente in unserem Archiv. Forderungskataloge, Berichte, Anträge, Protokolle usw. sind bei den Unterlagen der verschiedenen Runden Tische, der letzten Volkskammer, der einzelnen Vereinigungen, Parteien und Gruppen vorhanden. Darüber hinaus verfügen wir auch über das von Werner Fischer, einem der drei Regierungsbeauftragten für die Auflösung des MfS/AfNS beim Ministerrat der DDR, überlieferte Schriftgut und dem des Bürgerkomitees Normannenstraße.

Am Abend des 15. Januar 1990 hatten die Ostberliner vor dem Gebäudekomplex des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Berlin-Lichtenberg demonstriert. Unter dem Motto „Mit Fantasie gegen Stasi und Nasi“ hatte das Neue Forum zu dieser Demonstration aufgerufen, um der Forderung nach endgültiger Schließung der Zentrale des MfS Nachdruck zu verleihen. In den Bezirken waren längst alle Diensteinheiten besetzt bzw. geschlossen. Die Demonstranten stürmten dann auch das Gelände. Noch in der Nacht konstituierte sich das Bürgerkomitee Normannenstraße, das in den folgenden Monaten die Abwicklung des MfS vor Ort überwachte. Materialien, die während der Auflösung des MfS zur Sicherung bzw. Vernichtung von Schriftgut und elektronischen Datenträgern entstanden sind, befinden sich im Bestand des Bürgerkomitees.

Tina Krones Taschenkalender aus dem Jahre 1990. Tina Krone: "Der Kalender stammte aus West-Berlin, der Aufkleber beschreibt nicht nur meinen Zustand."

Fazit:

Die Bestände im Archiv der DDR-Opposition sind recht umfassend. Wegen der knappen Zeit konnte ich mich nur auf einige Schwerpunkte beschränken. Aber die Überlieferung zur Friedlichen Revolution ist noch lange nicht vollständig. Es bleibt also auch in den kommenden Jahren noch viel zu tun.