„Wie die Stasi die Stasi sabotierte“ – Die Bildserie des Fotografen Bernd Weu zu den Wanzen in Rainer Eppelmanns Arbeitszimmer

Erste bei Rainer Eppelmann gefundene Wanze mit der Seriennummer 14. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu

Am 26. und 28. Januar 1989 findet Pfarrer Rainer Eppelmann in seiner Wohnung Wanzen der Staatssicherheit. Beim Auffinden der Abhörtechnik behilflich: Rainer Dietrich, inoffizieller Mitarbeiter der Stasi.

Schon seit Ende der 1970er Jahren ist der oppositionelle Pfarrer der Ost-Berliner Samaritergemeinde Rainer Eppelmann der Staatsmacht ein Dorn im Auge. Zu den von ihm veranstalteten Bluesmessen pilgern bis zu 7.000 junge rebellische Ost-Deutsche. Sein „Berliner Appell“ von 1982, den er zusammen mit dem Dissidenten Robert Havemann verfasste, war ein offenes Bekenntnis gegen die Militarisierung der DDR-Gesellschaft.

Bereits am vierten Advent 1988 hatte Rainer Eppelmann eine Wanze in seinem Arbeitszimmer hinter einer defekten Steckdose gefunden. Sie trug die Seriennummer 14. Die Entdeckung gelang ihm dank eines Gerätes zum Aufspüren von Wanzen, welches ihm der befreundete Spiegel-Korrespondent Ulrich Schwarz bei einem seiner Besuche mitbrachte. Beim erneuten Wanzenfund Ende Januar 1989 ist der Fotograf Bernd Weu dabei. Als Mitglied der Samaritergemeinde dokumentiert er die Kirchenarbeit und ist auch selbst in verschiedenen kirchlichen Gruppen aktiv. An diesem Tag wird er in die Privatwohnung Eppelmanns gerufen, die auch als Dienstzimmer der Kirchengemeinde  fungiert. Dabei entsteht eine Fotoserie der gefunden Wanzen: Eine im Radio, eine andere in einer Stehlampe. Diesmal ohne Seriennummer. Interne Absprachen der Kirchenkreise, persönliche Gespräche oder die Seelsorge für die Gemeindemitglieder wurden durch die Staatssicherheit aufgezeichnet und protokolliert.

In einem Gespräch mit Ralf Hirsch, sagt Eppelmann später, er wolle weiter nach Abhörtechnik in seiner Wohnung suchen, denn „ein Pilz wächst selten allein. Meistens ist es ein ganzes Geflecht“. Die Abhörmaßnahmen, die neben den Wanzen noch im unmittelbaren Umfeld von Eppelmann installiert wurden tragen allerdings keine Seriennummer sondern den Decknamen IM „Cindy“. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich Rainer Dietrich, Mitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) und fleißiger Berichterstatter für die Sicherheitsorgane der DDR. Unter seinem technischen Sachverstand wurde die Wanze aus der Stehlampe entfernt. Er spielte mit, wahrscheinlich um sich nicht verdächtig zu machen. Bernd Weu dokumentierte die Arbeit mit seiner Kamera. 

Rainer Dietrich, alias IM "Cindy", beim Entfernen der Wanze aus der Stehlampe. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu
Wegen seiner technischen Kenntnisse wird Rainer Dietrich mit dem Entfernen der Wanze aus der Stehlampe betraut. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu

IM „Cindy“ war es auch, der der Staatssicherheit im November 1987 den entscheidenden Hinweis zur sogenannten „Aktion Falle“, dem Überfall auf die Räume der Umwelt-Bibliothek, lieferte. Allerdings verlief auch diese Geschichte nicht optimal für Dietrich, denn die Stasi fand in den Räumen der Umwelt Bibliothek nicht wie von ihm behauptet die illegale Zeitschrift grenzfall der IFM, sondern die unter dem Dach der Kirche erscheinenden Umweltblätter.  

Das Geflecht aus Spionagetechnik und inoffiziellen Mitarbeitern, das die Stasi um Rainer Eppelmann gesponnen hatte war dicht, aber reichte nicht aus um den lautstarken oppositionellen Pfarrer zum Schweigen zu bringen. Rainer Eppelmann gehörte im Sommer 1989 zu den Gründern des Demokratischen Aufbruchs und war 1990 Minister für Abrüstung und Verteidigung in der ersten und letzten freigewählten DDR-Regierung. Rainer Dietrich wurde für seine aktive Rolle beim Auffinden der Wanzen von der Stasi gerügt und wurde nach der Friedlichen Revolution als Spitzel der Staatssicherheit enttarnt.

Im Februar 2018 hat Bernd Weu den Großteil seiner Bilder an das Archiv der DDR-Opposition gegeben. Die Fotos liegen digital in hoher Auflösung vor.

Rainer Eppelmann, Stadtjugendpfarrer Wolfram Hülsemann und der Pfarrer der Sankt Markus Gemeinde mit der Stehlampe, die als Versteck für die Wanzen diente. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu
©Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu
Eine andere Wanze wurde in einer Stehlampe gefunden. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu
Eine der Wanzen wurde in einem Radio gefunden. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu
Meldung über den Wanzenfund im Kirchenkasten der Samaritergemeinde. ©Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Weu