Das Lew Kopelew Forum erinnert sich in einem Nachruf an ihr langjähriges Beiratsmitglied Elisabeth Weber. Das Forum bittet im Sinne der am 31. März 2022 Verstorbenen um Spenden für in Not geratene russische Freunde: 
MEMORIAL, IBAN: DE96 1002 0500 0003 3200 00 
Kennwort Elisabeth Weber

Elisabeth Weber und Gerd Poppe bei der Veranstaltung "Unteilbar? Menschenrechtspolitik vor und seit 1989" am 24. März 2011. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Frank Ebert

Elisabeth Weber (16.05.1941 – 31.03.2022)

Unser Beiratsmitglied des Lew-Kopelew-Forums Dr. Elisabeth Weber studierte Theaterwissenschaft und Germanistik in Köln, Wien und West-Berlin, promovierte 1969 und wurde in der Studentenbewegung aktiv. Von 1983 bis 2002 wurde sie als Osteuropa-Referentin bei Bundestagsabgeordneten der Grünen und Bundestagsfraktion Bündmis90/Die Grünen tätig. 

Im Sommersemester 1982 unterrichtete Elisabeth Weber an der Kölner Universität Deutsch für ausländische Studenten. Damals kam die bereits seit einem Jahr im Exil lebende Philologin und Amerikanistin Raissa Orlowa, die zusammen mit ihrem Mann, dem Germanisten und Bürgerrechtler Lew Kopelew, aus der Sowjetunion ausgebürgert wurde, in den Deutschkurs von Elisabeth Weber. In einem Gedenkartikel über Raissa Orlowa schrieb Elisabeth Weber: „Rajas Aufmerksamkeit scheint mir nicht so sehr meinem Bemühen um verständlichen Deutschunterricht zu gelten, sondern meinem Versuch, den Studenten ein Stück Selbstbewusstsein und Identität zu geben, in einer Situation, wo sie auf die kärglichsten Wortfetzen einer fremden Sprache angewiesen sind.“ 

Seit Oktober 1982 besuchte Raja zweimal wöchentlich Elisabeth zu Hause, um Privatunterricht erteilt zu bekommen. Aus den Unterrichtsstunden wurden ausgedehnte intensive Gespräche. „Ich merkte, wie es mir Freude zu machen beginnt, Texte herauszusuchen, die Raja gefallen könnten <…>. Umgekehrt merkte ich, dass sie eine Art kleines Erziehungsprogramm für mich verfolgt: Ajtmatow, Rasputin, Iskander, Trifonow. Vergnügt stellen wir fest, dass wir uns gegenseitig erlauben, uns zu beeinflussen. <…> Ich sehe, wie Raja und Lew ein Stück erlebter Geschichte auch in unserem Land an die Oberfläche bringen, das Anfang der achtziger Jahre aus dem öffentlichen Interesse nahezu ausgeklammert war und für jemanden wie mich mit einer rein westlichen Familientradition und einer wenn auch gebrochenen linken Vergangenheit fast unbekannt und in mancher Hinsicht tabu war.“ Bald entwickelte sich zwischen Elisabeth Weber und Raissa Orlowa eine echte Freundschaft. 

Seit Beginn der 1980er war Elisabeth Weber in der Friedensbewegung aktiv, die sich für einen „Ost-West-Dialog von unten“ einsetzte. Auf der Suche nach Kontakten zu der osteuropäischen Bürgerrechtsbewegung waren die Kopelews genau die richtige Adresse. Als Elisabeth 1983 von Milan Horaček, dem Bundesabgeordneten der Grünen, ein Angebot bekam, als Osteuropabeauftragte für ihn zu arbeiten, fragte sie Raja um Rat und wurde von ihr ermutigt, weil das wichtig sei. Über jene intensiven Zeiten schrieb Elisabeth Weber in ihrem Artikel „Lew Kopelew als ‚Politikberater‘“: „Mitte der 80er Jahre begann ich, teilweise privat, teilweise im Auftrag der Grünen, zu politischen Gesprächen nach Osteuropa zu fahren, nach Warschau und Prag, nach Budapest, nach Riga und Ende 1988 zum ersten Mal nach Moskau. Jedes Mal hatte ich die verschlüsselten Zettel in der Tasche, mit wem ich mich treffen sollte. <…> Und jedes Mal ergaben sich daraus Ketten weiterer Gespräche und Verabredungen. <…> das konspirative Netz derer aus der demokratischen Opposition, die einander vertrauten, funktionierte erstaunlich reibungslos. Und sobald ich von den Reisen zurückkam, war der erste Besuch der in der Neuenhöfer Allee – erzählen, erzählen, fragen, erklären, zuhören.“

Zusammen mit Lew Kopelew gehörte Elisabeth Weber Ende der 1980er zu den Mitgründern der Heinrich-Böll-Stiftung in Köln. Ab April 1990 leitete sie in Berlin ein Verbindungsbüro der Bundestagsfraktion Die Grünen zur Volkskammerfraktion Bündnis 90/Die Grünen. „Eine wunderbare und intensive Aufgabe“, - schrieb sie. Elisabeth liebte das Wort „intensiv“.

Und so wäre im Jahre 1998, ein Jahr nach dem Tod von Lew Kopelew, die Gründung des Lew-Kopelew-Forums ohne Elisabeths Mitwirken nicht denkbar gewesen. Die Aufgabe des Forums könnte man nicht besser formulieren, als es Elisabeth in dem oben erwähnten Artikel tat: „Das Vermächtnis von Raja und von Lew: Achtung der Menschenrechte, Beendigung von ungerechten und imperialen Kriegen, die Wahrheit über die Vergangenheit aussprechen und öffentlich machen – bleibt eine Verpflichtung auch in einer sich verändernden Welt.“

Viele Jahre war Elisabeth Weber im Lew-Kopelew-Forum nicht nur ein aktives Beiratsmitglied, sondern eine resolute Moderatorin unserer regulären Beirats- sowie Beirats- und Vorstandssitzungen, die penibel genau auf einen ordentlichen und basisdemokratischen Diskussionsablauf aufpasste und uns erst beim TO-Punkt „Verschiedenes“ etwas mehr Lockerheit zugestand. Politische Themen waren ihr Schwerpunkt. Treu und unermüdlich pflegte sie Kontakte zu den ehemaligen ostdeutschen Dissidenten, polnischen Solidarnosc-Freunden, der russischen Menschenrechtsgesellschaft MEMORIAL, organisierte und moderierte viele Veranstaltungen im Forum und darüber hinaus.

Lew Kopelew bezeichnete sich als Brückenbauer zwischen Russland und Deutschland. Ganz in seinem Sinne war Elisabeth Weber eine empathische, aufrichtige und tatkräftige Brückenbauerin zwischen Ost und West. 

Fast zwei Jahrzehnte kämpfte Elisabeth auf eine bewundernswerte Weise gegen ihre MS-Erkrankung, der sie auf erstaunlich disziplinierte Art keinen Einflussraum gab, auf ihre vielen Reisen und Begegnungen mit Freunden nicht verzichtete und sich den wachen Geist und ihre kritische Stimme bewahrte. Diese Lebensart war möglich nicht zuletzt dank der wahrlich echten partnerschaftlichen über fünfzig Jahren währenden Beziehung mit ihrem Freund Jürgen Röhler; basierend, versteht sich, auf gegenseitiger Achtung und ohne Trauschein.

Wir trauern um eine überaus authentische, politisch engagierte, für demokratische Werte streitbare Frau, eine treue und immer hilfsbereite Freundin, eine unvergessliche Persönlichkeit, derer wir immer in Dankbarkeit gedenken werden.

 

Maria Klassen, Mitglied im Vorstand des Lew Kopelew Forums