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Unser langjähriger Geschäftsführer Olaf Weißbach ist am 13.11.2024 nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Sein Verlust hinterlässt eine schmerzliche Lücke, denn Olaf war nicht nur ein guter Kollege, sondern auch ein lieber Freund, der der Robert-Havemann-Gesellschaft treu verbunden war und ihre Arbeit mit seinem Wissen und auf seine ganz persönliche Weise geprägt hat. Erst im Juni konnten wir Olaf mit einem Fest in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Zu wissen, dass dies sein letzter öffentlicher Auftritt war und dass er seinen Lebensabend nicht, wie er es sich wünschte, mit seiner Frau Marlies im gemeinsamen Haus in Lebus an der Oder verbringen kann, erfüllt uns mit tiefer Trauer.
Olaf Weißbach wurde am 21. März 1956 in Prenzlau geboren und wuchs zusammen mit seiner Schwester und seinem Bruder in Brandenburg an der Havel auf. Dort machte er sein Abitur und absolvierte anschließend bei den Grenztruppen der NVA im Harz seinen Grundwehrdienst. Währender der Armeezeit trat er in die SED ein.
Im Herbst 1976 begann Olaf an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ein Studium der marxistisch-leninistischen Philosophie. Wenige Wochen nach seinem Studienbeginn wurde Wolf Biermann ausgebürgert. Die Vorgänge um den Liedermacher, dessen Texte und Anstiftungen zum Andersdenken weckten Olafs Interesse an oppositionellem Verhalten. Er entdeckte seine "Affinität zu Leuten, die in jeder Beziehung anders waren als ich", wie er im Rückblick bemerkte. Der Widerspruchsgeist jener Teile der Jenaer Jugendszene, die sich Biermann und auch Robert Havemann verpflichtet fühlten, stachelte auch Olaf und Mitglieder seiner Parteigruppe an. Sie fanden Interesse an den Ideen tschechischer und westeuropäischer Reformkommunisten. "Wir haben" – so erinnerte sich Olaf – "ein kritisches Bewusstsein ausgebildet, auch zur SED. Die Partei selbst haben wir nicht infrage gestellt." Er setzte sich mit den Ansichten des DDR-Regimekritikers Rudolf Bahro auseinander. Gemeinsam mit oppositionellen jungen Menschen in Jena, etwa mit Roland Jahn, Gerold Hildebrand, Petra Falkenberg und Siegfried Reiprich, war er Mitglied im ‚Bahro-Lesekreis‘, der sich regelmäßig in der Wagnerstraße 27 in Jena traf. Als er sich im Rahmen seines Studiums mit den Konzeptionen Trotzkis beschäftigte und Thesen dieses marxistisch-leninistischen Häretikers bedenkenswert fand, war der Beginn der politischen Verfolgung vorprogrammiert. Am 16. Mai 1978 beantragten die Verantwortlichen seiner Studiensektion die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens. Vier Wochen später erfolgte die Urteilsverkündung. Die Disziplinarkommission schloss Olaf vom Studium aus, "weil er schwerwiegend gegen Normen des politisch-moralischen Verhaltens eines Studierenden einer Hochschule verstoßen" habe und erteilte zudem ein generelles Studienverbot an allen Universitäten und Fachschulen der DDR. In seinem Einspruch gegen dieses Votum wies Olaf darauf hin, dass die Anschuldigungen nicht den Tatsachen entsprächen, seine Auffassungen "als Beitrag zu einer konstruktiven Diskussion" anzusehen seien und er keinesfalls gewillt sei, "durch autoritäre Anordnung von staatlicher Seite" seinen Standpunkt zu widerrufen. Er wurde aus SED und FDJ ausgeschlossen. Das Studienverbot wog schwer. Und besonders schmerzlich war die Erfahrung, dass keiner seiner Kommilitoninnen und Kommilitonen sich mit ihm solidarisierte.
In der Folge schlug er sich als Hilfsarbeiter beim VEB Jenapharm oder als Friedhofsarbeiter durch. Wiederholt sah er sich mit Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit konfrontiert, dass ihn und seine Freundinnen und Freunde aus der oppositionellen Jenaer Jugendszene jahrelang im Operativen Vorgang "Opponent" bearbeitete.
Eine Perspektive in der DDR sah Olaf nicht mehr, zumal er seinen Studienwunsch nicht aufgeben wollte. Deshalb bewarb er sich für ein Philosophie-Studium an der Freien Universität in West-Berlin und bekam auch eine positive Rückmeldung mit der Aufforderung zur Immatrikulation. Da seine Ausreiseanträge zunächst immer wieder abgelehnt wurden, schmiedete er mit seinem Freund Klaus-Dieter Boost ("Jagger") einen Fluchtplan. Beide wollten an der innerdeutschen Grenze im Hochharz – ein Gebiet, das Olaf durch seine Grenztruppentätigkeit gut kannte – in die Bundesrepublik fliehen. Diesen Plan gaben sie jedoch auf, als "Jagger" kurz vor dem geplanten Fluchtzeitpunkt Mitteilung über die Genehmigung seiner Ausreise erhielt. Kurze Zeit später durfte auch Olaf in den Westen übersiedeln. Er verließ am 8. August 1981 die DDR und nahm im Oktober sein Studium an der Freien Universität in West-Berlin in den Fächern Philosophie, Politikwissenschaft und Soziologie auf. 1983 zog er nach Gelsenkirchen und führte an der Bochumer Ruhr-Universität sein Studium fort. Um Geld zu verdienen, gab er an der Volkshochschule Kurse in Philosophie, Pädagogik und Psychologie, ging am Wochenende Lkws waschen und war bei seinem Freund Jagger Fotoassistent. 1986 kehrte er nach West-Berlin zurück und setzte sein Studium an der FU fort. Wegweisend waren für ihn dort die Seminare in Wissenssoziologie bei Prof. Dr. Peter Furth. In dieser Zeit lernte er seinen Freund Stephan Lahrem – "Larry" – kennen, der ihm ein langjähriger und treuer Wegbegleiter wurde.
Im Zuge der revolutionären Ereignisse in der DDR wurden Ende 1989 an der Universität Jena die ausgesprochenen Zwangsexmatrikulationen und Studienverbote durch ein unabhängiges Wissenschaftlerkomitee aufgearbeitet. Der damalige Universitätsdirektor entschuldigte sich Mitte Dezember 1989 öffentlich für die erfolgten Zwangsmaßnahmen und erklärte sie für ungültig, explizit nannte er auch Olafs Relegierung.
Olaf beendete sein Studium 1992 mit dem Magisterabschluss an der FU. In den folgenden Jahren arbeitete er zusammen mit Stephan Lahrem an seiner Dissertation. In ihrer gemeinsamen Neuköllner Wohnung diskutierten und schrieben sie, manchmal 10 bis 12 Stunden am Tag. 1998 wurden sie mit ihrer Studie "Grenzen des Politischen. Philosophische Grundlagen für ein neues politisches Denken" an der Freien Universität Berlin zum Dr. phil. promoviert. Seinen Lebensunterhalt verdiente Olaf in dieser Zeit mit einer Honorartätigkeit für die Abteilung Bildung des Bezirksamtes Berlin-Wedding, übernahm Bürotätigkeiten in einem Berliner Verlag und gab Seminare am Institut für Religionswissenschaften. Zwischen 1999 und 2002 war er als Lehrbeauftragter am Institut für Religionswissenschaften der Freien Universität Berlin tätig.
1998 kam Olaf in die Robert-Havemann-Gesellschaft. Er arbeitete zunächst im Fotoarchiv und übernahm im Jahr 2007 die Geschäftsführung. Dieses Amt führte er bis zum Eintritt in die Rente im Mai 2024 aus.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und seine Art, die Dinge zu hinterfragen, passten nicht nur gut zum Namensgeber der Gesellschaft, sondern prägten auch Diskussionen und Alltag. 2009 unterstrich er in einem Zeitungsinterview: "Wir müssen nicht nur das SED-Regime stärker beachten als bisher, wir müssen insgesamt den Kommunismus als Ideologie in den Blick nehmen, und wir sollten diese Ideologie als politische Religion verstehen, denn das ist sie nun einmal. Zugleich sollten wir die gesellschaftliche Aufklärung vorantreiben, und dazu gehört auch, die Versprechungen der kommunistischen Ideologie zu entzaubern."
Olaf führte die Robert-Havemann-Gesellschaft durch eine lange Zeit der finanziellen Unsicherheit. Er kannte das Leben unter prekären Einkommensbedingungen, Arbeitslosigkeit und mangelnder Planbarkeit. Ohne viel Aufhebens fing er für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stillschweigend so manches ab. Sein Tun war stets geprägt von einem großen Verantwortungsbewusstsein der Sache und der Mitarbeiterschaft gegenüber. Unter seiner Geschäftsführung wurde der Prozess der Professionalisierung der Robert-Havemann-Gesellschaft entschieden vorangetrieben. In seiner Amtszeit gelang es, die seit 2018 bestehende dauerhafte Projektförderung durch die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien und den Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu etablieren. Neun Jahre zuvor hatte Olaf in einem Interview darauf hingewiesen, dass die stets jährlich neu zu beantragenden Projektförderungen "gerade für ein Archiv, das ja nun der Sache nach auf Dauer angelegt ist, […] keine Perspektive sein" könne und er sprach die Hoffnung aus, "dass die Bedeutung unserer Bestände bald zu einer Grundfinanzierung seitens des Bundes und des Landes Berlin" führe.
In 17 Jahren, in denen Olaf als Geschäftsführer die Robert-Havemann-Gesellschaft und ihr Archiv der DDR-Opposition federführend mitgestaltet hat, entstanden Freundschaften, aber auch Schwierigkeiten mussten bewältigt und Auseinandersetzungen geführt und ertragen werden. Seine oft unkonventionelle Art wurde zu seinem "Markenzeichen". Es konnte schon mal vorkommen, dass sich ein Praktikant oder eine Praktikantin beim Mittagstisch oder eine Bewerberin oder ein Bewerber im Vorstellungsgespräch mit der Frage konfrontiert sah, welches Merkmal ein Spatzenmännchen von einem Spatzenweibchen unterscheidet. Denn der leidenschaftliche "Vespa"-Fahrer Olaf war auch Hobby-Ornithologe, interessierte sich für Meteorologie und war passionierter Angler. Er fand in der Natur seine Ruhe und ließ seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelegentlich an seinen Erlebnissen teilhaben.
In der Sendung ‚Raum für Notizen‘ des Senders ‚Alex Berlin‘, in der jeder Gast für sich oder seine Institution ein aussagekräftiges Motto präsentieren soll, hatte Olaf im Dezember 2019 für die Robert-Havemann-Gesellschaft vermerkt: "Wir sind Mutmacher! Wir sind diejenigen, die Dokumente und Selbstzeugnisse von Opposition und Widerstand verwalten." Wie die zunächst wenigen, dann vielen im Jahre 1989 in der DDR die Diktatur beseitigt hätten – das könne "Hoffnung, Zuversicht und Mut" ausstrahlen.
Mit Zuversicht wollen wir als Robert-Havemann-Gesellschaft die Arbeit im Sinne von Olaf weiterführen. Auch wenn es uns zutiefst schmerzt, dass wir nun ohne sein unerschöpfliches Wissen, seinen Humor, seine Anekdoten und seine wertvollen Ratschläge auskommen müssen, wird Olaf bleiben – in dem, was er geschaffen und wie er die Robert-Havemann-Gesellschaft geprägt und mitgestaltet hat.
Unsere Gedanken sind bei seiner Frau Marlies und seiner Familie. Ruhe in Frieden, lieber Olaf, Du bleibst als guter Freund und Kollege in unserer Erinnerung.