Matthias Domaschk kam ums Leben als 1981 der "X. Parteitag" der SED in Berlin stattfand. Die SED-Schutzorganisation MfS hatte im Rahmen ihrer Aktion "Kampfkurs X" die zwei Jenaer Matthias Domaschk und Peter Rösch aus einem Reisezug heraus verhaften lassen und an drei Tagen und zwei Nächten verhört, bedroht und Aussagen erpreßt.
Sieben MfS-Offiziere wurden fast 20 Jahre später zu Geldstrafen in Höhe etwa zweier (vom Gericht niedrig geschätzter) Monatsgehälter verurteilt. Genauer, sie erhielten Strafbefehle wegen Anstiftung zur Freiheitsberaubung:
Friedrich Willi Heinz Lehmann (1981 Oberstleutnant, Operativer Einsatzstab BV Gera) verurteilt zu 50 Tagessätzen a 25 Mark.
Horst Jürgen "Dr." Seidel (1981 Oberstleutnant, Leiter der Abteilung IX der Bezirksverwaltung Gera) zu 100 Tagessätzen a 40 Mark.
und wegen Freiheitsberaubung die Vernehmer:
Dieter Strakerjahn (Hauptmann, Untersuchungsführer der BV Gera Abteilung IX) zu 60 Tagessätzen a 40 Mark.
Hans Joachim Seidel (Oberleutnant, BV Gera Abteilung IX; Vernehmer von Peter Rösch und 1982 von Roland Jahn) zu 50 Tagessätzen a 40 Mark.
Ronald Peißker (Leutnant, BV Gera Abteilung IX; Vernehmer von Matthias Domaschk) zu 50 Tagessätzen a 40 Mark.
Der Straftatbestand der Freiheitsberaubung gründet sich lediglich darauf, dass die nach DDR-Recht bestehende 24-Stunden-Frist der Gewahrsamsnahme überschritten worden war und eine 48-stündige "vorläufige Festnahme" nicht gerechtfertigt war, da sich die Vernehmungen nicht auf einen aktuellen Straftatsbestand bezogen, sondern sogenannte "operative Erkenntnisse" über die oppositionelle Szene zu Tage fördern sollten.
Horst Henno Köhler (1981 Hauptmann, KD Jena Abteilung XX) und Herbert Würbach (Major, KD Jena Abteilung XX, Bild) legten gegen die Strafbefehle von 60 Tagessätzen a 40 Mark Einspruch ein. Somit kam es zu einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ergebnis, daß Richter Hollandmoritz den stellvertretenden Kreisdienststellenleiter Jena Würbach (Verteidiger: Sonntag) vom Tatbestand der Beihilfe zur Freiheitsberaubung freisprach, da dieser zwischenzeitlich nicht im Dienst gewesen sei, und Köhler(Verteidiger: Schild-und-Schwert-Geselle MfS-Major Frank Osterloh; HA IX) wegen Freiheitsberaubung zu 60 Tagessätzen a 40 Mark verurteilte. Staatsanwältin Christiane Neubig hatte für beide die gleiche Strafe (60 Tagessätze) gefordert.
Rechtsmittel sind möglich und die Staatsanwältin will im Fall Köhler Berufung einlegen. Der Führungsoffizier mehrerer IM, die gegen die Jenaer JG Stadtmitte arbeiteten, war nicht beim Prozess anwesend und hatte als Grund Urlaub in Österreich angegeben. Seine Hoffnung, damit den Verjährungstermin 3. Oktober überschreiten zu können, platzte jedoch.
Peißker und Seidel mußten zu Zeugenaussagen erscheinen, wobei die Floskel "ich erinnere mich nicht mehr" etwa 25 mal gebraucht wurde. Keiner der Stasileute richtete ein Wort des Bedauerns an Matthias Domaschks Tochter Julia, die als Nebenklägerin offiziell anerkannt worden war, wenn auch nicht zuvor vom Gericht persönlich eingeladen. Ihr Anwalt Klaus Ziegler, der den Prozeß immerhin ins Rollen gebracht hatte, war zum Termin nicht erschienen.
Das Zimmer 317 im Geraer Amtsgericht war schon der größte dortige Saal und faßt 24 Personen. Doppelt soviele waren gekommen. Durch Zusammenrücken und Großzügigkeit des Richters konnten alle dem Prozess beiwohnen, die "aus der ganzen Bundesrepublik" angereist waren, wie Richter Hollandmoritz formulierte. Ein Umzug ins Landgericht oder gar ins Theater, wie es Zwischenrufe aus dem Publikum forderten blieb somit aus.
Gerold Hildebrand
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