Praktikumsbericht Johannes Boden

Abgesehen von wenigen Recherchen und einigen Führungen, die mich im Rahmen meines Studiums in Archive führten, hatte ich bisher recht wenig mit derlei Häusern zu tun. Als angehender Historiker war mir die Bedeutung dieser Institutionen stets bewusst - liefern Archive nicht fortwähren neue Ansatzpunkte für spannende Forschungsprojekte und sind darüber hinaus ein wichtiger Bestandteil für die Auseinandersetzung und Erschließung der Geschichte als solches. Dennoch konnte ich mir lange Zeit kaum vorstellen ein mögliches Praktikum im Archiv zu absolvieren. Das lag zu aller erst an meiner eigenen Voreingenommenheit, die dem Archiv als Arbeitsort Attribute zwischen Nüchternheit und Monotonie zuzuschreiben versuchte. Trotz dieser Vorbehalte, stieß ich schließlich über die Praktikumsbörse der HU auf die Robert-Havemann-Gesellschaft und merkte schnell, dass mich die thematische Ausrichtung dieses Archivs und dessen Schwerpunktsetzung enorm interessieren könnte.

Die Robert-Havemann-Gesellschaft, ein eingetragener Verein, gründete sich zu Beginn der 1990er Jahren aus der Bürgerbewegung Neues Forum und begann ab 1992 ein eigenes Archiv zur Geschichte der DDR-Opposition aufzubauen. Aktuell finanziert sich der Verein zu je gleichen Teilen aus Bundes- und Ländermitteln und beherbergt neben einem umfangreichen Schriftgut-Archivbestand zu Einzelpersonen und allem was mit dem Thema DDR-Opposition zu tun hat, auch ein ca. 500 000 Bilder umfassendes Fotoarchiv. Die Räumlichkeiten des Archivs sind in der Ruschestraße 103 (Haus 17) auf dem ehemaligen Gelände der Stasi-Zentrale in Lichtenberg untergebracht.

Mein obligatorisches Praktikum, absolvierte ich im Rahmen meines Bachelorstudiums - Umfang von 220 Stunden -  an vier Wochentagen von Anfang Dezember 2019 bis Ende Januar 2020 im Schriftgut-Archiv und der Öffentlichkeitsarbeit der Robert-Havemann-Gesellschaft. Gerade der Wechsel zwischen beiden Bereichen bereitete mir insgesamt sehr viel Freude und verhalf mir einen umfassenden Einblick in den Aufbau des Archivs zu erhalten.

 Für das Schriftgut-Archiv war Frau Hernandez-Garcia (Archivleitung) meine Ansprechpartnerin, die mir, nach einer kurzen Einführung in die Aufgaben und das Arbeitsfeld des Archivars, einige Erstaufnahmen von Schriftgut anvertraute. Dabei handelt es sich um eine erst grobe Erfassung, der im Archiv abgegebenen Materialen, mithilfe eines Protokolls. Es kann vorkommen, dass die Unterlagen bereits von ihren Vorbesitzern minutiös sortiert wurden und dadurch ganz einfach in das Übernahmeprotokoll aufgenommen werden können. In der Regel ist eher das Gegenteil der Fall und die Unterlagen müssen vor der Übernahme zunächst in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden. Da jeder Bestand in sich einzigartig ist, folgt die Übernahme auch nie einem gleichen Schema. Zunächst bietet es ich an, die Unterlagen grob zu sichten und sich zu überlegen welche Ordnung den Bestand bestmöglich erschließen kann. Nach welchen Kriterien das Schriftgut anschließend gegliedert wird, hängt ebenfalls von der Art der Materialien ab. Manchmal ist es Sinnvoll die Unterlagen nach thematischen Aspekten zu gliedern. In anderen Fällen bietet sich gar eine chronologische Reihenfolge oder schlicht die Sortierung anhand der Art des Schriftguts an. Nachdem eine sinnvolle Ordnung hergestellt ist, können die Unterlagen in ein Word-Dokument aufgenommen werden. Das daraus entstandene Übernahmeprotokoll bildet die Grundlage eines jeden Übernahmevertrags, der zwischen der Robert-Havemann-Gesellschaft und der Person, die die Unterlagen zur Verfügung stellt, geschlossen wird. Das fertige Protokoll ermöglicht ferner dem Archivar, auch zu einem späteren Zeitpunkt – oft fehlt es an Zeit und Ressourcen, den Bestand sofort in den Archivbestand aufzunehmen – die Unterlagen schnell überblicken zu können und damit intern zu arbeiten. Bevor die Unterlagen schließlich zur Zwischenablage in Säurefreie Archivboxen eingelagert werden, ist es unerlässlich, zur besseren Konservierung, sämtliche Metall- und Plastikbestandteile zu entfernen. Die einzelnen Boxen werden in einem internen Verzeichnis mit einer Nummer versehen und in einer Liste vermerkt. Nach diversen Erstaufnahmen fertigte ich abschließend anhand meiner Erfahrung, die ich im Schriftgut-Archiv sammeln konnte, einen Leitfaden zur besseren Orientierung für zukünftige Praktikanten in diesem Bereich an.

Insgesamt überraschte mich die Arbeit im Schriftgut-Archiv durchweg positiv. Zwar war der Prozess des Ordnens etwas kleinteilig und oft auch ziemlich langwierig, aber dadurch nicht minder spannend. Gewissermaßen konnte ich durch die Auseinandersetzung mit den Materialen aus erster Hand einige interessante Einblicke in die Lebenswirklichkeiten fremder Menschen erhalten, die mir in dem Maße so nicht bewusst waren. So dokumentierten viele Unterlagen - zum Beispiel zur Gründung und Organisation von Bürgerinitiativen, wie dem Neuen Forum - den schier grenzenlosen Willen nach Freiheit und Selbstbestimmung einer ganzen Generation und deren Bereitschaft, trotz aller Widrigkeiten, diese Rechte friedlich einzufordern. Anhand der Auseinandersetzung mit den Archivalien erschlossen sich mir diese Begebenheiten mit einer neuen Klarheit in Bezug auf die Betrachtungsweise der jüngeren Deutschen Geschichte.

Den zweiten Bereich den ich im Rahmen meines Praktikums kennen lernen konnte, war die Öffentlichkeitsarbeit innerhalb des Archivs. Unter der Leitung von Herrn Zilm, übernahm ich vor allem Recherchetätigkeiten und kleinere Textproduktionen für unterschiedliche Projekte, was insgesamt sehr abwechslungsreich war.

Für die Internetseite der Robert-Havemann-Gesellschaft verfasste ich zunächst einen Ankündigungstext samt Kurzvita über den Journalisten Gerhard Rein, der einen großen Bestand an Materialien, seiner beruflichen Tätigkeit als Korrespondent des Süddeutschen Rundfunks in Berlin der 1980er Jahre, dem Archiv übergeben hatte. Nach redaktioneller Rücksprache mit Herrn Zilm fügte ich den Beitrag im Anschluss über das Content-Management-System „Typo3“ auf die Webseite ein und stellte ihn online.

In Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung betreut die Robert-Havemann-Gesellschaft die Webseite jugendopposition.de, die anhand von 24 Biografien, die Geschichte junger Oppositioneller in der DDR seit Beginn der Sowjetischen Besatzung bis einschließlich 1990 erzählt. Hierfür werden fortlaufen neue Beiträge geschrieben, die jeweils zum besseren Verständnis mit einem Glossar verknüpft werden müssen. Meine Aufgabe hierbei war die Recherche und das Schreiben verschiedener sach- und personenbezogener Erläuterungstexte für diese Internetseite. Die Texte sollten möglichst deskriptiv und simpel gehalten sein, da die Seite in erster Linie versucht Jugendliche zu adressieren und im Schulunterricht verwendet werden soll. Auch hier durfte ich im Anschluss die Beiträge über das Content-Management System Drupal auf die Internetseite einfügen.

Ein weiteres Projekt, das ich in seiner Entstehungsphase begleiten durfte, war die Vorplanung einer Podiumsdiskussion mit anschließender Workshop-Reihe, die eine kreative Auseinandersetzung mit den Beständen des Archivs der DDR-Opposition beinhalten sollte. Hierfür schrieb ich einen kleinen Einführungstext und wurde anschließend eingeladen an einem telefonischen Vorgespräch mit dem Verantwortlichen zur Klärung konzeptioneller Inhalte teilzunehmen. Dies ermöglichte mir interessante Einblicke in die Planung und Durchführung von kulturellen Veranstaltungen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit innerhalb des Archivs.

Neben kleineren Recherchen zu Nutzeranfragen, oder Aufräumarbeiten im Keller zur Strukturierung des dortigen Bestandes, fielen immer wieder abwechslungsreiche Aufgaben an, die mir anvertraut wurden. So erstellte ich zum Beispiel in meiner letzten Woche im Archiv eine Maske für ein Excel Gantt-Diagramm, das, im Rahmen der projektbezogenen Personalplanung, zur besseren Visualisierung der internen Arbeitsabläufe verwendet werden soll.

Abschließend lässt sich festhalten, dass Langeweile während meines Praktikums  nur selten aufkam. Das lag in erster Linie an dem angenehmen Arbeitsklima und dem Anspruch des Kollegiums mir stets sinnvolle Aufgaben anzuvertrauen. Flache Hierarchien und ein stets hilfsbereiter sowie respektvoller Umgang, gaben mir durchweg das Gefühl, dass meine Anliegen ernst genommen werden und mein Einsatz wertgeschätzt wird. Äußerst interessant und aufschlussreich waren darüber hinaus viele Gespräche, die ich mit den Mitarbeitern über die friedliche Revolution und deren persönliche Erfahrungen als Zeitzeugen führen konnte. Meine Arbeiten erledigte ich größtenteils in Eigenverantwortung und versuchte die unterschiedlichen Aufgaben stets gewissenhaft auszuführen. Gerade durch diese Selbstständigkeit wurde, in meinen Augen, eine Form des lösungsorientierten Problembewusstseins gefördert, das im späteren Berufsleben noch von immenser Bedeutung sein wird. Bei aufkommenden Fragen stand mir dennoch immer jemand zur Seite und betreute mich angemessen.

Auch wenn ich im Zuge meines Praktikums viele meiner anfänglichen Vorurteile zur Arbeit im Archiv abbauen konnte, fällt es mir schwer meine eigene berufliche Zukunft in diesem Arbeitsfeld zu sehen. Das liegt in erster Linie an dem unbefriedigenden Gefühl einer unendlichen und niemals abgeschlossenen Aufgabe gegenüber zu stehen. Ich konnte sehen, wie mühselig und zeitaufwendig die Erschließung eines neuen Bestandes ist - auch wenn er noch so klein ist. Für andere hingegen, die in dieser fortlaufenden Unabgeschlossenheit eine Herausfordern sehen und Teil zur Aufarbeitung der Geschichte beitragen möchten, ist die Arbeit im Archiv durchaus in Betracht zu ziehen und die Robert-Havemann-Gesellschaft sicherlich der ideale Ort, um die ersten Eindrücke in diesem Arbeitsfeld zu sammeln.