Robert Havemannhält vor dem überfüllten Auditorium während der letzten Vorlesung der Reihe "Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme" an der Berliner Humboldt-Universität am 10. Januar 1964. Ein Kamreateam der DEFA hat den Raum für Dokumentaraufnahmen ausgeleuchtet, die umgehend beschlagnahmt wurden.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Robert Havemann mit seiner seiner Ehefrau Katja.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Robert Havemann am Eingang in sein Gartengrundstück in Grünheide, wo er seine letzten Lebensjahre mit seiner Frau Katja Havemann verbrachte.
Quelle: Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotobestand Harald Schmitt
Robert Havemann mit dem oppositionellen Liedermacher Wolf Biermann Mitte der 1970er Jahre auf dem Grundstück von Robert Havemann in Grünheide bei Berlin. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Katja Havemann/RHG_Fo_HAB_09789
©Bundesstiftung Aufarbeitung, Fotobestand Harald Schmitt, Bild 790511-01
Erfassung von Robert Havemann durch das MfS in Form einer Kerblochkarteikarte. Unter der Rubrik Vorstrafen: "VdN" [Verfolgter des Nazi-Regimes].
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Für den Marsch der politischen Gefangenen des Zuchthauses Brandenburg nach Berlin stellten sich die befreiten Häftlinge selbst Bescheinigungen aus, die sie als Antifaschisten ausweisen sollten.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Robert Havemann besuchte 1961 mit Gerald Götting, Vorsitzender der DDR-CDU den Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer in dessen Hospital in Afrika.
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Katja Havemann mit Tochter Franziska und Werner Theuer in der BStU, aufgereiht die Stasi-Unterlagen über Robert Havemann, welche in das Archiv der RHG übernommen wurden.
Quelle: © Robert-Havemann-Gesellschaft/Rolf Walter
 

Warum Robert Havemann?

von Bernd Florath

Über zwei Jahrzehnte versuchte die SED, den Namen Robert Havemanns dem Vergessen anheim fallen zu lassen. Sein Name sollte nicht einmal erwähnt werden, wenn Havemanns Auffassungen in "der Presse" als staatsfeindlich gebrandmarkt werden sollten.

Rund um die Uhr von der Staatssicherheit überwacht, gelang es indes weder, ihn zu isolieren, noch zu verhindern, dass er seine Gedanken und Kritiken – wenn auch über den Umweg westlicher Medien – interessierten Menschen in der DDR zugänglich machte. Leidenschaftlich widmete er sich in seinen letzten Lebensjahren der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR. In Offenen Briefen an den sowjetischen Parteichef Leonid Breshnew und den westdeutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt appellierte er, das die Existenz der Menschheit bedrohende Wettrüsten zu beenden. Im "Berliner Appell", den er gemeinsam mit dem Pfarrer Rainer Eppelmann verfasste, prägte er die Alternative zur Konfrontationspolitik der Weltmächte: "Frieden schaffen ohne Waffen!"

Auch nach seinem Tode 1982 blieb sein Haus in Grünheide in der Nähe Berlins ein Treffpunkt Oppositioneller. Hier versammelten sich die "Frauen für den Frieden", die der SED die Stirn boten und den Militärdienst verweigerten. Katja, Havemanns Witwe, die ihn in seinem letzten Lebensjahrzehnt begleitet hatte und auch nun unerschrocken in diesem Sinne aktiv war, gehörte zu ihnen. Hierher lud sie gemeinsam mit Bärbel Bohley im September 1989 einige Gleichgesinnte ein und gründete mit ihnen das Neue Forum, die größte Oppositionsgruppe der Friedlichen Revolution im Herbst 1989.

Es war eine naheliegende Entscheidung, bei der Gründung der Gesellschaft, die die schriftlichen Dokumente der Opposition aufbewahren und die von ihr gemachten Erfahrungen durch politische Bildungsarbeit weitergeben sollte, nach Robert Havemann zu benennen.

Wer war Robert Havemann?

Der 1910 geborene Sohn einer Malerin und eines Journalisten war ein wissbegieriger, sich für Naturwissenschaften begeisternder Mensch, der im Faustschen Sinne wissen wollte, "was die Welt im Innersten zusammenhält". In München begann er Chemie zu studieren, doch er blieb wach für die sich Ende der 1920er Jahre rasant ändernde Gesellschaft. Mit einem befreundeten Kommilitonen besuchte er auch eine von Hitlers Wahlkampfveranstaltungen und war angewidert von dessen antisemitischen Tiraden und dem stumpfsinnigen Gejohle des Publikums. "Dass die riesige Schicht der deutschen Kleinbürger subaltern und reaktionäre war und heute noch ist, ist ein Grundübel der Deutschen."

1932, studierte er noch in Berlin und schloss sich der linkssozialistischen, streng konspirativ arbeitenden Widerstandsgruppe "Neu Beginnen" an, die versuchte, zwischen KPD und SPD gemeinsames Handeln gegen die nationalsozialistische Herrschaft zu organisieren. Er unterstützte verfolgte Juden, versteckte sie und half ihnen bei der Flucht, weshalb der Staat Israel ihn und seine Gefährten 2006 als "Gerechten unter den Völkern" ehrte. Als führendes Mitglied der Widerstandsgruppe "Europäische Union" wurde er 1943 mit seinen Gefährten von den Nazis verhaftet und zum Tode verurteilt. Dank der geschickten und mutigen Unterstützung von Kollegen und Freunden konnte er der Exekution entgehen, musste aber erleben, wie seine engsten Freunde ermordet wurden. 1945 befreite die Rote Armee Robert Havemann aus dem Zuchthaus Brandenburg, in dem er unter anderem gemeinsam mit Erich Honecker gefangen gehalten wurde.

Robert Havemann engagierte sich für den Aufbau einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft, schloss sich aber mit der Zuspitzung des Kalten Kriegs der SED an und unterstützt deren stalinistische Politik – unter anderem als Geheimer Informator der Staatssicherheit. Das Eingeständnis des verbrecherischen Charakters des Stalinregimes auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion setzte bei Robert Havemann ein Umdenken in Gang. Seine kritische Distanz zur Politik der SED wuchs. Er ließ sich auch durch Privilegien nicht mehr korrumpieren. Immer offener und deutlicher formulierte er seine Kritik am Politbüro und entwickelte politische Alternativen der Demokratisierung des Sozialismus.

Robert Havemann wurde nach und nach von jeder Möglichkeit öffentlichen politischen Wirkens in der DDR abgeschnitten. Doch seine Äußerungen wurden in der Republik immer wieder heimlich abgeschrieben. Über die Medien der Bundesrepublik erreichten sie früher oder später interessierte Leser, Zuhörer und Zuschauer. In der Reformpolitik des Prager Frühlings 1968 sah er ein Musterbeispiel dafür, wie eine sozialistisch-demokratische Gesellschaft möglich sei. Ihre Zerschlagung durch Sowjetisches Militär charakterisierte er deutlich als Konterrevolution.

Seine Forderung nach einer Demokratisierung der DDR erweiterte Robert Havemann durch friedens- und umweltpolitische Überlegungen. Schon frühzeitig suchten Oppositionelle aus Jena Kontakt zu ihm, der Mitte der 1970er Jahre auch als Gast an dortigen Veranstaltungen teilnahm. Nach seiner Exmatrikulation fand der Schriftstellern Jürgen Fuchs ein neues Domizil bei Robert Havemann in Grünheide.

Die Ausbürgerung seines Freundes Wolf Biermann verurteilte Robert Havemann scharf. Er begrüßte das Protestschreiben, das Künstler und Künstlerinnen daraufhin verfassten und schrieb an seinen ehemaligen Brandenburger Zuchthauskameraden Erich Honecker einen Offenen Brief. Der Staats- und Parteichef ordnete daraufhin Hausarrest für den bekanntesten Dissidenten der DDR an. Mehr als zwei Jahre konnten sich weder Robert Havemann noch seine Familie frei bewegen. Dennoch knüpfte er immer neue Kontakte zu jungen Oppositionellen.

Mit dem sogenannten Berliner Appell "Frieden schaffen ohne Waffen", den er gemeinsam mit Rainer Eppelmann initiierte, stellte Robert Havemann der Friedensbewegung in der DDR seine Kraft und seine Erfahrung zur Verfügung. Robert Havemann starb Pfingsten 1982, wenige Wochen nach der Veröffentlichung des von vielen Menschen in der DDR und in der Bundesrepublik unterstützten Appells.

Als 1991 Katja Havemann seinen Nachlass der Havemann-Gesellschaft übergab, war er der erste und größte persönliche Aktenbestand im Archiv und Grundlage vieler kritischer Forschungen. Robert Havemann war kein Held ohne Fehl und Tadel. An Heldenlegenden ist die Havemann-Gesellschaft nicht interessiert, sondern an kritischer Auseinandersetzung, auch und gerade mit der Geschichte von Widerstand und Opposition. Der freie Zugang zu seinem Nachlass ist daher eine Voraussetzung dafür, diese bedeutende und vielfältige Persönlichkeit auch in ihrer Widersprüchlichkeit lebendig werden zu lassen. Einer der bekanntesten Texte Havemanns mag als Beispiel hierfür gelten. Niemand hat sich schonungsloser mit den eigenen Verirrungen auseinandergesetzt als Havemann 1965 in seinem Artikel "Ja, ich hatte Unrecht".

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Wanderausstellung, ein Projekt der RHG
Themen-Dossier: Angriff auf Robert Havemann

Ehrung für Robert Havemann

Im Jahr 2005 zeichnete die israelische Gedenkstätte Yad Vashem Robert Havemann und andere Mitglieder der Gruppe "Europäische Union" mit dem Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" aus.