Rezension "Robert Havemann. Eine persönlich-politische Biographie"

„Robert Havemann" eine persönlich-politische Biographie. Teil 1: Die Anfänge
Von Harold Hurwitz, Entenfuß Verlag, Berlin 2012, 272 Seiten, 16,90 €

In den 1970er- Jahren galt der Kommunist Robert Havemann (1910-1982) als der prominenteste Regimkritiker der DDR. Infolge der Ausbürgerung seines Freundes Wolf Biermann im November 1976 war Havemanns Wohnsitz in Grünheide abgeriegelt worden. Zweineinhalb Jahre dauerte dieser Belagerungszustand um Havemanns Haus, der zeitweilig bis zu zweihundert Einsatzkräfte gebunden hatte.
Im vorliegenden ersten Teil einer „persönlich-politischen Biographie" versucht Harold Hurwitz, Havemanns Entwicklung eines deutschen Lebensweges des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen.
Havemanns Wandlung von einem parteiergebenen Stalinisten hin zum Protagonisten eines reformierten, demokratischen Sozialismus in der DDR war seinerzeit von Havemann selbst eindrucksvoll formuliert und über geographische wie auch politische Grenzen hinweg diskutiert worden. Hurwitz stellt sich in seiner Untersuchung die Frage, ob eine Persönlichkeit wie Robert Havemann mit dieser Charakteristik zureichend beschrieben werden kann.
In einer umfangreichen Recherche unterzieht Hurwitz die familiären Hintergründe der beiden Elternteile Robert Havemanns. Seine Einblicke geben nicht zuletzt mentalitätsgeschichtliche Aufschlüsse preis, zumal Havemanns Vater Hans 13 Jahre jünger als die Mutter Elisabeth, eine geborene Schönfeldt, war. Nach Anfängen als erfolgloser Lehrer hatte der nervlich labile Hans Havemann eine feste Stellung als Resortleiter des Feuilletons der Westfälischen Neuen Nachrichten erhalten. Elisabeth Havemann, die als junge Frau und angehende Malerin die Münchener Boheme kennengelernt hatte, widmete sich nach der Heirat mit Hans ganz ihren beiden Söhnen. Der auffällige Wissensdurst des jungen Robert konnte sich in einem Elternhaus, das sich bewusst der zeitgenössischen Kunst und Kultur verschrieben hatte, gut entfalten. Zu den charakteristischen Widersprüchen des Hans Havemann gehörte freilich auch dessen Fähigkeit, sich den jeweiligen politischen Herrschaftsmodellen anzupassen. Den Parteiausweis der NSDAP tauschte Hans in den Nachkriegsjahren gegen die Mitgliedschaft in der SED ein.
Robert Havemanns spätere Profession als Physikochemiker machte sich bereits in der Jugendzeit dahingehende bemerkbar, als er mit Freunden in seinem Zimmer ein Labor einrichtete. Der naturwissenschaftliche Unterricht im Gymnasium bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten. Zudem zeigte sich sehr bald eine dezidiert ausgerichtete „materialistische" Weltanschauung, die ohne jegliche Metaphysik auszukommen bereit war. Einen politischen Wendepunkt bedeutete Roberts intensive Bekanntschaft mit Elisabeth Schmidt, einer jungen KPD-Genossin in Berlin. Deren „lustvolle Attacken" bildeten für Havemann „aus einer für ihn ganz fremden Welt Zumutung und Aufforderung zugleich". Auch wenn die beiden als Paar nicht zusammen blieben, sollte die Beziehung nie abreißen.
Für Havemann öffnete sich unter zunehmend brutaleren Bedingungen die politische Welt des antifaschistischen Engagements. Einen besonders tragischen Verlauf hatte das Schicksal für Elisabeth Schmidt bereitgehalten, die dem jungen Studenten Robert Havemann in das nähere Umfeld der KPD verholfen hatte. Als politische Exilantin in der Sowjetunion hatte sie sich nur mit Mühe den politischen Verdächtigungen des Staatsapparates entziehen können, ihr Mann Heinz Altmann war freilich den Säuberungen zum Opfer gefallen. In die DDR konnte Elisabeth Schmidt erst ab 1954 zurückkehren. Als Bürgen, der zu Bewerbungszwecken Auskunft über sie erteilen könnte, nannte sie an erster Stelle Prof. Dr. Robert Havemann - damals noch in Amt und Würde. Jahre später war ihr neuer Lebensgefährte, der antifaschistische Aktivist Rudi Wunderlich, der in der Nazizeit acht Jahre im KZ und in Gefängnissen saß, von der SED wegen „parteischädigen Verhaltens" mit einer „strengen Rüge" bedacht worden. Begründung: Wunderlich hatte als Sekretär des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer den mittlerweile in Ungnade gefallenen Havemann zur Teilnahme an der Gedenkfeier zum 25. Jahrestag der Befreiung des Zuchthauses Brandenburg verholfen. Zudem war Wunderlich daraufhin fristlos gekündigt worden.
Der im Mai 2012 im Alter von 88 Jahren verstorbene Harold Hurwitz, und das wirkt sich zugunsten der Lesbarkeit dieser Biographie aus, war mit den einschlägigen historischen Umständen gut vertraut. Er hatte sich besonders mit seinen Standardwerken „Die Stunde Null der deutschen Presse" oder „Demokratie und Antikommunismus in Berlin nach 1945" als Experte hervorgetan.
Ein darstellender Gesamtüberblick über Leben und Schicksal von Robert Havemann in einer „Einführung" sowie ein Personenregister runden diese ansprechende Studie ab. Einen besonderen Hinweis verdient der Umgang von Harold Hurwitz mit seinen einschlägigen Quellen, einschließlich von Interviews mit Zeitzeugen, die fast durchwegs in einer entsprechenden Disposition in der Robert-Havemann-Gesellschaft abgelegt sind und dort auch eingesehen werden können.
Mit diesem ersten Teil einer Robert-Havemann-Biographie ist ein Zugang zu einer beeindruckenden Persönlichkeit geschaffen, der von seiner Lebendigkeit in der Darstellung profitiert. Man darf gespannt auf den zweiten, politisch noch weitaus brisanteren Teil hoffen!
Volker Strebel