Tina Krone: 20 Jahre Robert-Havemann-Gesellschaft

Die ROBERT-HAVEMANN-GESELLSCHAFT

Bekanntmachen, dass es immer Widerstand gegen die SED gab. Die Geschichten der vielen erzählen, die in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR aufbegehrten. Begreiflich machen, warum sie Gefängnis riskierten und was die Oppositionellen wollten. Diese Ziele hat sich die Robert-Havemann-Gesellschaft gesetzt. Dafür hat sie ein großes Archiv aufgebaut, werden Ausstellungen und Internetseiten konzipiert, Publikationen herausgegeben und vielfältige Veranstaltungen angeboten. Ins Leben gerufen wurde die Robert-Havemann-Gesellschaft (RHG) im November 1990. Der aus dem Gründerkreis des Neuen Forums hervorgegangene Verein wollte vor allem die Geschichte der im Herbst 1989 gegründeten Bürgerbewegungen und ihre antitotalitären Konzepte einer zivilen Gesellschaft vor dem Vergessen bewahren. Robert Havemann, dessen Namen die Gesellschaft trägt, hat Widerstand in beiden deutschen Diktaturen geleistet. Von den Nationalsozialisten wurde er deswegen zum Tode verurteilt, als Kommunist wurde er zum schärfsten Kritiker der Kommunisten in der DDR.

Das Archiv der DDR-Opposition

Widerstand gegen die SED gab es seit ihrer Gründung. Diejenigen, die in Opposition zur SED standen, haben längst nicht solche Aktenberge hinterlassen wie die Behörden, von denen sie bekämpft wurden. Aber ihre Manuskripte, Briefe, Flugblätter und Zeitungen sind ein wichtiges Korrektiv zur staatlichen Überlieferung. Ihr Blick auf die DDR war naturgemäß ein ganz anderer. So manche Schönfärberei und Lüge haben vor diesen Dokumenten keinen Bestand. Das Erbe derjenigen, die im Widerspruch zur SED-Diktatur gelebt haben, zusammenzutragen und für die Zukunft aufzubewahren ist die Aufgabe des von der Robert-Havemann-Gesellschaft getragenen Archivs der DDR-Opposition. Die hier versammelten Schriftstücke, Fotos, Plakate, Filme, Transparente und Druckmaschinen bilden die Basis für die Arbeit der Robert-Havemann-Gesellschaft. Das Schriftgut des Archivs erstreckt sich derzeit auf über 500 laufende Meter. Neben Nachlässen bekannter Oppositioneller wie Robert  Havemann, Bärbel Bohley, Wolfgang Ullmann und Bernd Eisenfeld sind auch Zeugnisse des alltäglichen Widerstands von vielen unbekannt gebliebenen Menschen vorhanden: Eingaben und Protestschreiben gegen den Wehrkundeunterricht oder gegen gefälschte Wahlergebnisse, Ordnungsstrafverfügungen wegen der Teilnahme an Demonstrationen vor der chinesischen Botschaft nach dem Massaker in Peking 1989  -  Puzzleteile, die zur vollständigen Beschreibung des DDR-Alltags notwendig sind. Materialien zu Friedens-, Frauen-, Menschenrechts- und Umweltgruppen aus der gesamten DDR befinden sich mittlerweile im Archiv. Sie lassen den Kampf gegen Militarisierung und für Abrüstung, für Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit oder für die Rechte der Frauen nachvollziehen. Das Recht auf Reisefreiheit und die freie Wahl des Wohnsitzes haben ebenso ihre Spuren im Erbe der Opposition hinterlassen. Analysen zur Verfasstheit der DDR-Gesellschaft, Konzepte zur Rettung der verfallenden Städte oder für eine Bildungsreform seien noch genannt, um die Vielfalt der Überlieferungen anzudeuten. Sehr umfangreich ist auch der Bestand mit Unterlagen aus den im Herbst 1989 gegründeten Bürgerbewegungen und Parteien. Sie bilden zusammen mit den zahlreichen damals kursierenden Aufrufen und Protestresolutionen, den Tagebüchern, Briefen und Unterschriftensammlungen einen lebendigen Fundus zur Darstellung der Friedlichen Revolution 1989/90.

Heute wissen weitaus mehr Menschen als damals, dass es Widerstand und Opposition in der DDR gegeben hat. Denn Kritik und Protest wurden in der DDR unterdrückt und von der offiziellen Berichterstattung vollständig verschwiegen. Die Verbreitung von anderen als den zugelassenen Informationen und Ansichten stand unter Strafe. Mit konspirativ angefertigten Flugblättern und im Samisdat hergestellten Zeitungen versuchte die Opposition, ihre Anliegen trotzdem bekannt zu machen. Heute sind dies wertvolle Quellen für die Forschung. Die größte Sammlung von in der DDR entstandenem Samisdat, den konspirativ im Selbstverlag herausgegebenen und verbreiteten Zeitungen und Einzelpublikationen, befindet sich im Archiv der DDR-Opposition. Sehr oft genutzt werden die zahlreichen Fotos, Plakate, Filme und Gegenstände aus der oppositionellen Tätigkeit wie handbetriebene Vervielfältigungsgeräte, Kleindruckstempel oder Siebdruckrahmen sowie Zehntausende Fotos. Sammlungen von Zeitungen und Zeitschriften der Bürgerbewegung sowie der unabhängigen Frauenbewegung der DDR, eine Pressedokumentation und eine Bibliothek unterstützen Wissenschaftler, Journalisten, Ausstellungsmacher, Schüler und Studenten bei ihren Vorhaben im Archiv.

Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit

Ein wichtiger Sektor in der Arbeit der Robert-Havemann-Gesellschaft war von Beginn an die politische Bildung, vor allem für Jugendliche. Seit 2005 bietet die RHG das Thema »Jugendopposition in der SBZ/DDR« im Internet an. Auf einer multimedialen Website werden am Beispiel von Jugendlichen wichtige Ereignisse aus der Widerstandsgeschichte erzählt, die schon in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) begann. Vor allem Schüler und ihre Lehrer sind angesprochen, um hier anhand von Fotos, Dokumenten, Filmen und Zeitzeugeninterviews mitzuerleben, wie junge Menschen zwischen 1945 und 1989 in Widerspruch zur SED-Diktatur gerieten. Einleitende Texte, eine Zeitleiste, Begriffserklärungen, Biografien und Materialien für den Unterricht komplettieren das Angebot. Inzwischen wird auch eine DVD mit diesen Materialien angeboten. Eine ganze Reihe von Publikationen stellt Ergebnisse der Forschungsarbeit im Archiv der Öffentlichkeit vor. Daneben haben sich Wanderausstellungen zu verschiedenen Aspekten der Oppositionsgeschichte bewährt. So erzählt die Schau »Der Mut der Wenigen« Schicksale nicht berühmt gewordener Helden des Widerstands gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976. Sie wird seit 2002 immer wieder ausgeliehen und war bisher in zwölf Städten zu sehen. Darüber hinaus existieren Ausstellungen zum Wirken Robert Havemanns, zur Geschichte der Berliner Friedenswerkstatt, zum Neuen Forum, über die Frauen für den Frieden und zum Jugendwiderstand in Jena. Die größte Ausstellung bisher erzählte die Geschichte der Friedlichen Revolution 1989/90. Sie stand 17 Monate auf dem Alexanderplatz und zog Millionen Menschen an. Die DDR und der Umgang mit ihren Hinterlassenschaften sind auch nach 20 Jahren heiß umstritten. Die Robert-Havemann-Gesellschaft hat den jeweiligen Kontrahenten mehrfach die Möglichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung geboten. Unter dem Titel »Wem gehören die Stasi-Akten« wurde im März  2001 eine prominent besetzte Podiumsdiskussion organisiert, mitten in den Aufregungen, die eine Klage von Helmut Kohl gegen die Behörde der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen verursacht hatte. Eine andere Veranstaltung befasste sich mit der sehr kontrovers beurteilten juristischen Aufarbeitung von DDR-Unrecht anlässlich des 20. Todestages von Matthias Domaschk. Er war 1981 in der Untersuchungshaft in Gera ums Leben gekommen. Die damals anwesenden MfS-Offiziere waren im Prozess 2000 zu Geldstrafen wegen Freiheitsberaubung verurteilt worden. Große Aufmerksamkeit erzielten auch andere Veranstaltungen. Genannt werden soll noch eine, auf der sich im Januar 2008 ehemalige DDR-Korrespondenten mit dem Anteil der Westmedien am Ende der DDR auseinandersetzten. Der Forschung Impulse zu geben ist ein anderes wichtiges Anliegen der Robert-Havemann-Gesellschaft. Neben der Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten und Instituten sowie einzelnen Wissenschaftlern wurden auch Kongresse veranstaltet, u.a. zum Wirken Robert Havemanns oder zum in der DDR entstandenen Samisdat. Ein großes Ereignis war der Kongress »Zivilcourage und Kompromiss. Bausoldaten in der DDR 1964  -  1990« im September 2004. Drei Tage lang ging es um diese spezielle Form der Waffendienstverweigerung in der DDR. Die profunden Beiträge wurden danach in einem Tagungsband veröffentlicht.

Tina Krone, Archivleiterin Robert-Havemann-Gesellschaft