Hannelore Offner

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

in großen Buchstaben auf einem schwarzen Blatt hat Bärbel Bohley mit weißer Kreide geschrieben: Eine Arbeit für eine Grafik- Mappe war angefragt und sie  fühlte sich im turbulenten Herbst 1989 gedrängt, auch noch eine Grafik abzuliefern. So schrieb sie in beuysscher Manier:

Manchmal ist die Kunst abwesend. November 1989

Zuerst hat sie in der Kunst Freiräume gefunden, bevor sie diese im gesellschaftlichen Rahmen erstritten hat  und mit ihrer Kreativität füllte.

Nach Ihrem Studium der Malerei an der Hochschule in Weißensee von 1969-74  stellt die aufstrebende junge Malerin in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in kommunalen Galerien aus. Sie war beteiligt an der  Ausstellung für Junge Kunst in Frankfurt/Oder, der Berliner Atelierausstellung 1980  im Fernsehturm. Mit ihrer eigenen Malweise wird  sie von  Kollegen  geschätzt und in den Vorstand der Berliner Sektion für Malerei und Grafik im Künstlerverband gewählt. Für manche Betrachter wirken  ihre Bilder provozierend, denn die Kompositionen von menschlicher Figur reduziert auf das Kreatürliche - jenseits des sozialistischen Realismus als Beschwörungsformel für ein neues Menschenbild - verweisen vielmehr auf Francis Bacon als auf  Willi Sitte.

1981  begegne ich Bärbel bei meiner Arbeit  in der Galerie im Alten Museum, sie hat dort eine eigne Werkschau. Ihre expressiven, großformatigen  Arbeiten auf farbigem Papier stellen  Fragen nach dem Existenziellen, sie zeigen sinnbildhaft den Menschen  zwischen Gequältsein und natürlicher Schönheit im imaginären Raum, abstrakte Figürlichkeit als Ausdruck von psychischem Zustand, Variationen von Aktdarstellungen, in denen die Einzelfigur, der offene Körper, Verletzbarkeit und Isolierung symbolisiert. Neben Gouache arbeitet sie mit Tusche, Kreide oder Rötel, untermalt mit weiß oder erdigen Farbtönen.

Bald darauf 1982 sitzen wir im kleinen Kreis der Frauen in ihrem Atelier und brüten phantasievolle Aktionen aus, gegen das neue Wehrdienst-gesetz, gegen die atomare Aufrüstung und den Wehrkundeunterricht.  Bärbel, selbstsicher und unerschrocken, konnte Bedenken mit einem Lächeln vom Tisch fegen. Das wirkt ansteckend.

Und was so oft in den einschlägigen Publikationen über die DDR-Opposition vergessen scheint -  Bärbel hat es in diesem  Frühjahr noch einmal betont - die Frauen für den Frieden, waren die erste unanhängige Gruppe in der DDR-Opposition. Ein ganz eigenes Netzwerk entsteht, rasant  und listig unterlaufen wir die staatlichen Reglements, der Mut wächst mit jeder Aktion,  er strahlt aus auf andere Städte -  wir agieren gemeinsam mit Frauen aus Westberlin, Eva Epple, Eva Quistorp, Detel Aurand  und  einigen aus der grünen Partei über die Grenze hinweg.

Im Dezember  1983 während Bärbels erster Verhaftung sind ihre Grafiken in  der Humboldt-Galerie in der Universität unter den Linden ausgestellt. Es wird - im Hintergrund die Stasi - um die Schließung gestritten. Die Parteigremien im Berufsverband zwingen die Künstlerkollegen zur Abstimmung, um Bärbel aus dem Vorstand der Malersektion auszuschließen. Nur wenige zeigen Courage und stellen sich wie die Malerin Annemirl Bauer dagegen.

Als ich die DDR verlasse, um im westlichen Teil der Stadt zu leben,  zeigt  Bärbel Verständnis für diese individuelle Entscheidung.

Für sie gilt de facto ein Ausstellungsverbot von 1984 bis zum erzwungenen Exil 1988. Neben den politischen Aktionen malt  sie weiter. Zeichnungen, Radierungen, Collagen entstehen. Illustrationen zu einem Buch von Christa Wolf sind geplant.

In ihrem Werk taucht der Ikarus auf, nicht nur Biermann besingt ihn, gefesselte, stürzende Flügelmenschen stellen eine wiederkehrende Metapher in der Kunst der DDR dar.  Bärbels Engel tragen geknickte Flügel. Später, schon krank, formuliert sie in ihrer bildlichen Sprache: Warum haben wir so schwere Flügel?

Zuletzt vermerkt  die Stasi im Mai 89 die politische Unbedenklichkeit von  zwei ihrer Bildern, die dann in der Berliner Bezirkskunstausstellung hängen.

Und fünf Tage nach dem Fall der Mauer, hat sie in der Akademie der Künste am Hanseatenplatz den Karl - Hofer - Preis für ihr Werk und  Engagement als Künstlerin entgegen genommen, dafür überschreitet sie das erste Mal die Grenze nach West-Berlin. Im Vorfeld der Preisverleihung haben Jurymitglieder nach ihren Werken gesucht und Arbeiten aus meiner Sammlung angeschaut. Dank der Kurierdienste durch FAZ-Journalisten waren unter anderem auch die Grafikrollen sicher von Ost- nach West-Berlin gelangt.

Die Arbeit im Atelier war für Bärbel  zunehmend in den Hintergrund getreten. In den neunziger Jahren wollte  und konnte sie nicht die Frage beantworten, ob sie sich wieder ganz der Malerei zuwende. Denn lange hatte sich den politischen Aktivitäten verschrieben.

Sie stiftet immer wieder zu Aktionen an: 1990 stürmt sie mit Roger Servais und Grimmling das verbarrikadierte Büro des Künstler-verbandes, um ihre Personalakten heraus zu holen. Sie wollen wissen, wie Partei und Stasi versuchten auf ihr Leben und die Kunstszene Einfluß zu nehmen.

Daraus entsteht die Idee zum  Buch „Eingegrenzt - Ausgegrenzt, Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR", die ich dann im Forschungsverbund an der FU  umsetzen kann. Die Publikation führt zu einem erneuten Streit in der deutsch-deutschen Kunstdebatte. Doch ästhetische Fragestellungen zur Kunst  allein  dürfen nicht dazu führen, künstlerische Erfahrungen unter den Bedingungen einer Diktatur zu verschweigen.

Doch neben harten politischen Disputen erzählt Bärbel auch von ihrer Mexiko-Reise 1995, mit dem Blick der Malerin beschreibt sie ihre  eindringlichen Farberlebnisse im Frida Kahlo-Haus und wie sie dort begreift, was ihr in  der Enge der DDR vorenthalten blieb.

Im März dieses Jahres, im Gespräch mit Irena Kukutz hat sie sich noch einmal auf Joseph Beuys berufen. Bärbel  fühlte sich seinem „erweiterten Kunstbegriff" und der Konzeption der „Sozialen Plastik" als Gesamtkunstwerk verbunden. Indem Sinne wie Beuys ein  Mitgestalten an der Gesellschaft und in der Politik forderte,  hat sie all ihre kreativen Kräfte  in die umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen einfließen lassen.

Danke, Bärbel,  für alle Ermutigungen!