Mein Praktikum bei der Robert-Havemann-Gesellschaft im September/Oktober 2015

 

Im Laufe des berufsbegleitenden Masterstudiengangs „Politik und Deutsche Nachkriegsgeschichte", den ich von 2012 bis 2014 an der FU absolvierte, konzentrierte sich mein Interesse zunehmend auf die kulturpolitischen Entwicklungen in der DDR. Was bedeutete es für Kunst- und Kulturschaffende, in einem Staat zu leben, in dem ihre Arbeit stets kommunistische Ideologie und die aktuellen politischen Tendenzen zu repräsentieren und propagieren hatte und in dem das bloße materielle Überleben von der Mitgliedschaft in Berufsverbänden abhing, welche die Ausführung der kulturpolitischen Beschlüsse der SED organisierten und kontrollierten? Wie wurde mit Menschen verfahren, denen eine freie und ehrliche Entfaltung der Kunst mehr bedeutete als die Erfüllung ideologischer Vorgaben oder die mit ihren Werken gar gegen diese aufbegehrten? Mit diesen Fragen konnte ich mich intensiv in meiner Masterarbeit beschäftigen.
Ein Jahr später war es mir ein Anliegen, mich weiter mit dem Thema der Opposition in der DDR zu beschäftigen und gleichzeitig berufliche Erfahrungen zu sammeln, die sich zu meinen bisherigen als Musikerin stark unterscheiden sollten. Beides versprach ich mir von einem Praktikum im Bereich Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit bei der Robert-Havemann-Gesellschaft - und meine Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden. 
Zunächst wurde ich mit der Erstellung eines Pressespiegels betraut. Ich legte Ordner zu den einzelnen Ausstellungen, Veranstaltungen, Publikationen sowie zu den Mitarbeitern und zum Archiv an und begann damit, mich durch sämtliche die Gesellschaft seit Beginn ihres Bestehens betreffende Zeitungsartikel zu lesen und diese einzusortieren. Diese Aufgabe stellte sich als idealer Einstieg dar, da ich mir so ein sehr genaues Bild von der vielseitigen Arbeit der Gesellschaft und von der Geschichte und den Aktivitäten ihrer Mitarbeiter machen konnte.
Von Beginn an wurde ich auch in das aktuelle Geschehen eingebunden. So gehörte es neben dem Entwerfen kleinerer Texte, wie etwa für Einladungen oder Pressemitteilungen, zu meinen Aufgaben, ein Schülerprojekt zu koordinieren, in dessen Rahmen Gruppen von Schülern der Mittelstufen verschiedener Berliner Gymnasien die Havemann-Gesellschaft besuchten. Die Archivführungen und Gespräche mit Tom Sello und Tina Krone als Zeitzeugen und Akteure der Friedlichen Revolution waren dabei für mich sicherlich ebenso spannend wie für die Jugendlichen. 
Die Arbeiten an den Aktualisierungen gleich dreier Internetauftritte der Gesellschaft stellten tatsächlich absolutes Neuland für mich dar. In den Auswahlprozess der Agentur für den Relaunch der Ausstellungs-Website www.revolution89.de wurde ich intensiv mit eingebunden. Nachdem ich die eingegangenen Bewerbungen abgeheftet und auf ihre Vollständigkeit überprüft hatte, beteiligte ich mich an den Diskussionen über die eingereichten Designvorschläge und konnte die Erstellung der Bewertungsmatrix und den Vergabeprozess mitverfolgen. Bei den ersten Begegnungen mit der so beauftragten Agentur sowie bei den Treffen mit der Agentur, die bereits an der Aktualisierung der Homepage www.havemann-gesellschaft.de arbeitete, wurde ich immer dazu ermutigt, sowohl meine Vorschläge als auch eventuelle Fragen zu artikulieren. Sehr viel Praktisches konnte ich bei einem Workshop zum Umgang mit dem Content-Management-System für die Seite www.jugendopposition.delernen.
Ein Höhepunkt während meines Praktikums war das Auswahlverfahren des Architekturbüros für die Open-Air-Ausstellung zur Friedlichen Revolution, welche ab Sommer nächsten Jahres dauerhaft auf dem Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale in Lichtenberg zu besichtigen sein wird. Bei der Präsentation der Bewerber vor Ort war meine Meinung als „Außenstehende" gefragt und mir somit die Möglichkeit gegeben, mich intensiv mit den vielen, bisher ungeahnten Aspekten einer gelungenen Ausstellungsarchitektur zu beschäftigen. Ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidungsfindung war die Vermittlung der Freudigkeit der Friedlichen Revolution. Die Pläne und Modelle des beauftragten Büros versprechen, dem bedrückenden Ort ganz neue bunte Akzente zu verleihen und ich bin sehr gespannt darauf, ihre Realisierung zu erleben.
Sehr aufschlussreich und voller neuer Einblicke war auch das eintägige Seminar zur Archivarbeit im Landesarchiv. Denn die Schätze des Archivs zur DDR-Opposition hatten von Anfang an eine besondere Faszination auf mich ausgeübt. So nutzte ich meine freien Momente dazu, Tina Krone bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Und schon bald arbeitete auch ich mich durch große Kisten, in denen sich der Nachlass des amerikanischen Soziologen Harold Hurwitz befand. Es stellte sich als ungemein spannend heraus, in das Leben und die Gedankenwelt dieses Mannes einzutauchen, der im Alter von nur 22 Jahren in die Trümmerwüste Berlin kam und bis an sein Lebensende 2012 die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Stadt erleben und, etwa als Berater von Willy Brandt und dem Berliner Senat, über weite Strecken auch mitprägen sollte. Daher freue ich mich sehr darüber, auch über mein Praktikum hinaus bei der Archivierung dieses spannenden Nachlasses mitarbeiten zu dürfen.
Ein großes Dankeschön geht an die Mitarbeiter der Robert-Havemann-Gesellschaft - allen voran an meinen Ansprechpartner Tom Sello -, die es mir ermöglicht haben, in nur zwei Monaten die unterschiedlichsten Bereiche ihrer Arbeit kennenzulernen, mich dabei aktiv einzubringen und immer wieder selbst auszuprobieren. Eine in vieler Hinsicht sehr bereichernde Erfahrung für mich! 

Sarah Wieck
Dezember 2015