Bildquelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Reinhard Klingenberg/RHG_Fo_HAB_11274

 

November 1976. In der Jungen Gemeinde Jena-Stadtmitte hatten 57 Personen ihre Unterschrift unter eine Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns gesetzt, darunter auch der damals 20-jährige Krankenpfleger Uwe Behr. Zusammen mit seinem Freund Gerd Lehmann holte er die Resolution samt Unterschriftenliste aus der Wohnung des kurz zuvor von der Stasi in Jena verhafteten Marian Kirstein. Dieser hatte die Liste in einem Staubsaugerbeutel versteckt und so vor dem Zugriff der Stasi bewahrt. Uwe Behr und Gerd Lehmann brachten die Liste nach Berlin. Unterwegs besuchten sie Robert Havemann in Grünheide, um das weitere Vorgehen zu besprechen und einen Durchschlag von der Liste im Wald zu vergraben. Nach ihrer Rückkehr wurden beide von der Stasi festgenommen. Die Erinnerung an Uwe Behr, von seinen Freunden und Freundinnen gern Behrchen genannt, wird mit diesem Ereignis verbunden bleiben.

 

Uwe Behr wurde am 4. April 1956 in Berlin geboren. Von 1975 bis zu seiner Ausbürgerung im Jahr 1983 lebte er in Jena und arbeitete als Krankenpfleger in der Psychiatrie. Er engagierte sich in illegalen Lesekreisen. Kurz vor seiner Festnahme im Jahr 1976 waren in Jena bereits Thomas Auerbach, Kerstin Hinkeldey-Graf, Marian Kirstein, Bernd Markowsky, Walfred Meier, in Erfurt Thomas Wagner und Gabriele Stötzer und wenige Tage später auch Wolfgang Hinkeldey von der Staatssicherheit in Untersuchungshaft genommen worden. Diese endete nach neun Monaten für die Jenaer Verhafteten mit der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR, auch dank der Unterstützung durch das „Schutzkomitee Freiheit und Sozialismus“ um Hannes Schwenger, Margret Frosch und Manfred Wilke.

 

Allein Uwe Behr wurde in die DDR entlassen, da seine Eltern in der Handelsvertretung der DDR in Moskau beschäftigt waren. Behr engagierte sich weiterhin in oppositionellen Jugendgruppen in Jena und war eng mit Matthias Domaschk befreundet. Als im Herbst 1982 Roland Jahn und Manfred Hildebrandt inhaftiert wurden, fertigte Uwe Behr Solidaritätspostkarten an. „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ stand darauf neben einem Foto von Manfred „Batti“ Hildebrandt mit Fotoapparat. Andere griffen die Idee auf und fertigten ähnliche Postkarten an, u.a. mit der Aufschrift „Wo das Unrecht alltäglich ist, wird Widerstand zur Pflicht“ und den Fotos der beiden Inhaftierten. Uwe Behr wurde aufgrund dieser Aktion erneut inhaftiert. Wie schon 1976 gab es im Westen Medienöffentlichkeit und Solidarität. Franz Alt berichtete im ARD-Politmagazin „Report“ über die Fälle. Zusammen mit 14 weiteren Inhaftierten aus der Jenaer Jugendoppositionsszene wurde Uwe Behr deshalb Ende Februar 1983 wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Es folgte eine kurze Zeit – eine Art „Jenaer Frühling“ –, in der die kommunistische Staatsmacht vor erneuten Inhaftierungen zurückschreckte, obwohl sich die nun „Friedensgemeinschaft Jena“ nennenden Oppositionellen an SED-offiziellen Aufmärschen mit eigenen kritischen Plakaten beteiligten. Uwe Behr dokumentierte diese Aktionen und die gewalttätigen Übergriffe der Stasi mit seinem Fotoapparat.

 

Im Mai 1983 holte der Staatssicherheitsdienst dann in einer Aktion unter dem gleichen Namen buchstäblich zum „Gegenschlag“ aus. Etwa 100 Personen aus Weimar, Jena und Apolda wurden in die Bundesrepublik abgeschoben. Die meisten siedelten sich in Berlin-Kreuzberg an, so auch Uwe Behr. Er wurde hier Sozialpädagoge und lebte die letzten Jahrzehnte im Haus seiner mittlerweile verstorbenen Eltern am Dämeritzsee.

 

Anfang 2024 wurde Krebs diagnostiziert. Im Hospiz Woltersdorf fühlte sich Uwe Behr sehr gut betreut. Er regelte gefasst alles, was noch zu regeln war und empfing viel Besuch, vor allem von seinen Freunden aus der Gartenstraße 7 in Jena. Die große Öffentlichkeit hat er nie gesucht, obwohl er ein Widerständler war. Am 23. März 2024 verstarb Uwe Behr im Alter von 67 Jahren. Seine Freundlichkeit und sein Humor werden seinen Freunden fehlen. Die Robert-Havemann-Gesellschaft wird Uwe Behr in würdiger Erinnerung behalten.